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Das Selbstsystem im Menschen und der Mediation

Wissensmanagement » Diese Seite ist der Kategorie Konfliktphänomenologie des Archivs in der Wiki-Abteilung Wissen zugeordnet. Eine logische Verknüpfung erfolgt mit der Rubrik Konflikt, also dem 6. Buchabschnitt des Fachbuchs Mediation und den Konfliktphänomenen.

Konflikt Selbststystem Gehirn Persönlichkeit Eintrag Wikisuche

Worum es geht: Das Selbstsystem ist ein faszinierender Aspekt der menschlichen Psychologie, der die Art und Weise beeinflusst, wie wir uns selbst wahrnehmen, unsere Identität definieren und in der Welt interagieren. Es umfasst eine komplexe Reihe von Überzeugungen, Werten, Erinnerungen und Emotionen, die zusammen unser Verständnis von uns selbst formen. In der Mediation kann dieses Selbstverständnis eine entscheidende Rolle spielen, um Konflikte und Krisen zu bewältigen.

Woher weiß ich, wer ich bin?

Bauer würde antworten: "Das weiß ich von meinem neuronalen Selbstsystem. Es befindet sich zum überwiegenden Teil im frontalen Kortex, der Zone, die am wenigsten durch Gene bestimmt ist". Zum Selbstsystem gehört ein „Selbst“ das handelt, wahrnimmt etc. und ein „Selbstbeobachtungsystem“, das sich darüber Gedanken macht, wie andere uns wahrnehmen.1

Mensch
In der systemischen Sicht auf den Menschen würde das Selbstsystem dem psychologischen System zugeordnet werden, das mit dem biologischen und dem sozialen System interagiert. Das Zusammenspiel des biologischen Systems (aus dem heraus die Bedürfnisse, die Sinnesfähigkeiten usw. gesteuert werden), des psychologischen Systems (in dem das Denken gesteuert wird) und des sozialen Systems (das für die Kommunikation verantwortlich ist) erlaubt einen Einblick in die Verstehensfähigkeit des Menschen und seine Fähigkeiten der Selbstreflexion. Es wird im Idealfall vom Selbstsystem gesteuert, das dem Menschen eine zentrale Rolle in seiner Seinsbestimmung zuweist.


Aus logotherapeutischer Sicht stellt sich die Frage,2 ob wir uns als Individuen unserer bewussten eigenen Entscheidungsfähigkeit überhaupt bewusst sind oder ob wir unsere Verantwortung bevorzugt an übergeordnete Strukturen abgeben. Dazu zählen auch die Werte, an denen wir uns orientieren. Wir übertragen die Entscheidungsfähigkeit anderen Strukturen insbesondere dann, wenn wir so tun, als seien die eigenen Werte geklärt und nur die der anderen nicht. Mit der Frage, welcher Struktur wir uns unterwerfen, kommt die Frage auf, ob das Selbstsystem wirklich das Selbst des Menschen abbildet.

Was ist das Selbstsystem?

Es ist eine spannende Frage, die sich mitunter auch in der Mediation stellt. Zumindest dann, wenn es um Werte, Wertschätzung und Selbstbestimmung geht. Die Psychologie versteht unter dem Selbstsystem das eigenständige Regulations- und Handlungssystem, mit dessen Hilfe eine Person ihr Innen- und Außenleben nach ihren Interessen gestalten kann.3 Das Regulations- und Handlungssystem ist nicht nur aus biologischen, sondern auch aus psychologischen Gründen eingeschränkt. Die Einschränkungen kommen besonders im Konflikt zum Vorschein. Sie hindern oft die Krisenbewältigung, weshalb sie der Vollständigkeit halber zusammen mit den Lösungshindernissen besprochen werden.

Wenn wir unsere internalisierten Grenzen überwinden möchten und von einer menschlichen Selbstbestimmung ausgehen, helfen die Ausführungen von Viktor Franke zur Logotherapie. In Anlehnung an ein antroposophisches Verständnis des Menschen legt er drei Grundprinzipien fest:

  1. Die Freiheit des Willens. Wir können uns immer auch anders entscheiden und ein (inneres) Veto einlegen.
  2. Der inhärente Wille zum Sinn als eine Grundmotivation und das was den Menschen eigentlich ausmacht.
  3. Das Leben behält unter allen Umständen seinen Sinn.

Um die Willensfähigkeit in ihrer Komplexität zu erfassen, spricht Franke in seiner Dimensionalonthologie von drei Dimensionen des Menschen, in denen sich Wille und Sinn manifestieren:

  1. Die Physis, also der Körper, das Leibliche und Somatische.
  2. Die Psyche, also das emotionale Erleben, der Verstand und das Seelische.
  3. Die Person an und für sich. Also der Geist, das Geistige und Noetische.

Es macht Sinn, die Dimensonen zu unterscheiden und sich ihrer bewusst zu werden, um die volle Handlungskontrolle zu erlangen. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie gefragt werden, was Sie über Ihren Körper wissen? Was fällt Ihnen ein, wenn Sie gefragt werden, was Sie über Ihre Psyche wissen? Wer oder was erfasst in Ihnen, was Körper und Psyche Ihnen sagen wollen oder was sie zu sagen haben? Wo suchen Sie nach der Sinnhaftigkeit? Derartige Fragen helfen, sich über das eigenständige Regulations- und Handlungssystem bewusst zu werden. Und wie sieht es aus, wenn Ihr Handlungsspektrum eingeschränkt ist und Sie zum Opfer eines Angriffs werden. Verlieren Sie sich dann als Person? Das Risiko ist groß bei Menschen, die ihre Identität und ihren Wert nur von anderen ableiten oder sich von eigenen Gefühlen dominieren lassen.

Die Komponenten des Selbstsystems

Insgesamt ist das Selbstsystem ein komplexes und dynamisches Konstrukt, das einen wesentlichen Einfluss auf unser Verhalten, unsere Beziehungen und unser Wohlbefinden hat. Oft wird es nur in Teilen wahrgenommen. Sie kommen in folgenden Phänomenen zum Ausdruck, die in der Mediation häufig anzusprechen sind:

  1. Selbstwahrnehmung: Die Selbstwahrnehmung ist der Prozess, durch den wir uns selbst sehen und verstehen. Sie umfasst die Fähigkeit, unsere eigenen Gedanken, Gefühle, Eigenschaften und Handlungen zu erkennen und zu interpretieren. Diese Wahrnehmung kann sich im Laufe der Zeit entwickeln und durch Erfahrungen, Erziehung und soziale Interaktionen geprägt sein.
  2. Identität: Die Identität ist ein zentraler Bestandteil des Selbstsystems und bezieht sich auf das Gefühl der Kontinuität und Einzigartigkeit unserer Persönlichkeit über die Zeit hinweg. Sie umfasst unsere Überzeugungen, Werte, Interessen und Ziele, die zusammen ein Bild von unserem "Ich" formen. Die Identität kann sich im Laufe des Lebens entwickeln und verändern, während wir neue Erfahrungen machen und uns weiterentwickeln.
  3. Selbstkonzept: Das Selbstkonzept bezieht sich auf die Gesamtheit der Überzeugungen und Einstellungen, die eine Person über sich selbst hat. Es umfasst sowohl positive als auch negative Aspekte und kann sich in verschiedenen Lebensbereichen wie Beruf, Familie, Beziehungen und Freizeit manifestieren. Das Selbstkonzept kann stark von externen Einflüssen wie sozialen Vergleichen und kulturellen Normen beeinflusst werden.
  4. Selbstwertgefühl: Das Selbstwertgefühl ist das Maß an positiver Bewertung oder Wertschätzung, das eine Person für sich selbst empfindet. Es beeinflusst unsere Selbstachtung, Selbstsicherheit und Fähigkeit, mit Herausforderungen und Rückschlägen umzugehen. Ein gesundes Selbstwertgefühl ist wichtig für das psychische Wohlbefinden und kann durch positive Selbstreflexion, Erfolge und unterstützende Beziehungen gestärkt werden.
  5. Selbstregulation: Die Selbstregulation bezieht sich auf die Fähigkeit, unsere Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen zu kontrollieren und zu lenken, um unsere Ziele zu erreichen. Sie umfasst Selbstkontrolle, Impulskontrolle und die Fähigkeit, kurzfristige Bedürfnisse zugunsten langfristiger Ziele zu unterdrücken. Die Selbstregulation kann durch Übung, Achtsamkeit und die Entwicklung gesunder Gewohnheiten gestärkt werden.

Die Betonung liegt stets auf dem Selbst, was zur Unterscheidung zwischen der Person und der Persönlichkeit führt. Die Persönlichkeit ist nur die Attribution der Person und sollte nicht mit der Person und dem Geistigen verwechselt werden.

Persönlichkeit

Die Kontrolle über das Selbstsystem

Der erste Schritt, die Kontrolle über das eigenständige Regulations- und Handlungssystem (zurück) zu erlangen, besteht darin, sich als eine Identität zu begreifen. Der zweite Schritt besteht darin, sich selbst in Frage zu stellen. Wer sich als Person nicht in Frage stellt, kann prüfen ob die Werte, die er so verteidigt und die ihm anerzogen wurden, wirklich zutreffend sind. Damit kommt die Frage auf, ob und inwieweit sich der einzelne Mensch seiner Selbst und seiner Möglichkeiten wirklich bewusst ist. Kann und will er sich überhaupt selbst einschätzen und woran macht er diese Selbsteinschätzung fest? Verliere er seine Identität, wenn solche Zweifel aufkommen oder gewinnt er sie?

Das sind Fregen, die so oder so regelmäßig bei der Bewältigung von Konflikten aufkommen oder aufkommen sollten. Sie haben mit dem Rumpelstilzchen zu tun, dessen Auftrag darin besteht, die Auseinandersetzung mit sich und dem eigenen Konfliktverhalten herbeizuführen. Die Mediation unterstützt diesen Prozess, indem sie den Blick vom Gegner weg auf das Selbst der Parteien lenkt. Sie kommt also unweigerlich (je nach dem zugrunde liegenden Konflikt) auf diese Fragen zu sprechen und bringt die inneren Dilemmata zum Vorschein.

Bedeutung für die Mediation

Wie Egner schon sagte, ist die Mediation eine höchst menschliche Angelegenheit.4 Kein Mediator kommt daran vorbei, sich mit den Menschen als Parteien und dem Menschsein an und für sich auseinanderzusetzen. Dabei determiniert sein eigenes Selbstsystem die Möglichkeiten.

Die Mediation ist keine Therapie. Sie ist ein Entscheidungsprozess und kann auch als ein Erkenntnisprozess verstanden werden.5 Zur Erkenntnis gehört auch die Erkenntnis der Parteien über sich selbst. Gerade dann, wenn sie den Konflikt eigenverantwortlich beilegen sollen, bedarf es der Auseinandersetzung über die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten der Parteien. Wenn die Mediation als ein Gedankengang verstanden wird, wird sie die Fragen nach dem Selbst aufwerfen, sofern sie relevant sind, um einen sanften Weg in die erforderliche, selbstbestimmte Einsicht zu vermitteln. Ihr Ziel ist die Stärkung der Person, schon um eine Verhandlungsfähigkeit auf gleicher Augenhöhe herzustellen.

Was tun wenn ...

Hinweise und Fußnoten
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Bearbeitungsstand: 2024-03-09 13:46 / Version .

Siehe auch: Gehirn
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Seite zuletzt geändert am Samstag April 27, 2024 22:44:26 CEST.

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