Die Mediation ist sowohl bei Gewalt wie auch bei hoch eskalierten Konflikten möglich, weil sie unsere Gedanken aus ihrem Gefängnis befreien kann. Das erklärt das Warum. Die einzigen Grenzen, die wir vorfinden, befinden sich in den Köpfen von uns Menschen. Diese Eingrenzung ergibt den Hinweis auf die Frage, wonach wir suchen müssen, um eine Antwort auf das Wie zu finden. Allerdings steht sich die Mediation manchmal selbst im Weg. Immerhin ist sie eine höchst menschliche Angelegenheit.1 Sie unterliegt noch näher zu bestimmenden Bedingungen und Unklarheiten, die ihr Zustandekommen, ihre Durchführung und ihre Abwicklung beeinträchtigen. Ich versuche in diesem Beitrag zu erklären, welche Hürden sich ihr in den Weg stellen und wie wir Bedingungen herstellen können, damit die Mediation die Grenzen überwindet.

Das Problem

Es wird behauptet, dass die Mediation bei Gewalt, bei Machtgefällen, bei Sucht und in hoch eskalierten Konflikten nicht möglich sei.2 Es wird auch behauptet, die Mediation könne keine Exit-Strategie aus einem Krieg heraus darstellen. Ich behaupte, die Mediation ist in all diesen Fällen nicht nur möglich, sondern auch angesagt. Das betrifft nicht nur den Krieg, sondern auch die häusliche Gewalt, das Mobbing und den Rosenkrieg. Es ist außerordentlich bedauerlich, dass und wenn die Fähigkeiten der Mediation gerade dann nicht gesehen werden, wenn es darauf ankommt und wo konventionelle Herangehensweisen versagen.

Der Grund, warum die Mediation in den genannten Fällen nicht für möglich gehalten wird, mag mit der Frage zusammenhängen, was wir darunter verstehen und welche Fähigkeiten wir ihr zuschreiben. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen. Sie sollten abgestimmt werden, damit wir vom selben reden. Worte wie Gewalt, Missbrauch und Krieg lösen stets ein Kopfkino aus. Welches Gewaltszenario stellen Sie sich gerade vor? Eigentlich müssten wir zunächst klären, was sich hinter diesen Worten verbirgt und um welche Szenarien es sich handelt. Eine pauschale Antwort wird es nicht geben. Ungeachtet dessen setzt sich dieser Beitrag mit der Leistungsfähigkeit der Mediation auseinander. Er wird andeuten, dass und wie die Mediation auch mit derartigen Fällen zurecht kommen kann. Ich bitte Sie trotzdem Ihr Kopfkino auszuschalten und die Welt wie ein Alien völlig emotionsfrei aus großer Distanz zu betrachten. Sie nähern sich mit dieser Perspektive einer Sicht der Mediation, die über allem steht. Dann führe ich das Thema gerne, soweit dies in einem kurzen Vortrag überhaupt möglich ist, mit folgenden Schritten an seine Grenzen:

1. Was ist Mediation genau?
2. Was kann sie leisten?
3. Wo sind ihre Grenzen?
4. Wie können die Grenzen überwunden werden?
5. Fazit

1. Was ist Mediation genau?

Was meinen wir, wenn von „Mediation“ die Rede ist. Die EU-Direktive spricht in Art. 3 von einem structured process.3 Das deutsche Mediationsgesetz macht daraus ein strukturiertes Verfahren. Meinen wir, wenn von Mediation die Rede ist, tatsächlich nur das im Gesetz geregelte Verfahren? Wenn dem so ist, stellt sich die Mediation tatsächlich selbst ein Bein, weil das Verfahren nur bedingt weiterhelfen kann.

Verfahren oder Methode

Dass die Mediation mehr ist als nur das explizite Mediationsverfahren, ist der Schlüssel für die Lösung. Er lässt sich bereits aus dem Gesetz herleiten. Würde sich die Mediation ausschließlich auf das Verfahren beschränken, hätte der Gesetzgeber im §2 des Mediationsgesetzes nicht auf den Pleonasmus im Begriff des Mediationsverfahrens zurückgreifen müssen.4

Vor dem Erlass des Gesetzes wurde die Mediation als Methode definiert. Auf diese Option greift §278 ZPO zurück. Dort wird dem Güterichter aufgegeben, die Mediation nicht als Mediationsverfahren, sondern methodisch in einem Gerichtsverfahren anzuwenden. Das Mediationsgesetz kommt nicht zur Anwendung. Trotzdem bezeichnet der Sprachgebrauch auch diese Herangehensweise als Mediation. Wir können also davon ausgehen, dass der Begriff nicht nur das explizite Verfahren meint. Er bezeichnet auch die Methode und wird manchmal darüber hinausgehend auch mit einer vermittelnden Haltung gleichgesetzt.

Wie sich die Unterscheidung zwischen dem Verfahren und der Methode auswirkt, erläutert die Containertheorie.5 Sie sieht in den Verfahren lediglich eine Art Behälter, mit dem die Rahmenbedingungen festgelegt werden. Sie bestimmen, welche Methoden erlaubt sind. Das Mediationsverfahren verwendet mehrere Methoden, die im Idealfall genau auf den Container zugeschnitten sind. Wenn der Container wie etwa beim Güterichterverfahren groß genug ist, um die Methodik der Mediation aufzunehmen, kann er ausgetauscht werden. Das Mediations-Know-how verbirgt sich in der Methodik.

Allerdings ist die Mediation weder DIE Methode noch DAS Werkzeug und nicht einmal DAS Verfahren. Sie ist das Zusammenspiel von all dem. Deshalb kommt es der Mediation am nächsten, wenn sie als eine Kompetenz beschrieben wird. Sie verwirklicht sich in einem Methodenkongolmerat und nutzt alle denkbaren Techniken, mit denen sich ihr Inbegriff verwirklicht. Basierend auf dieser, weit über die Ausbildungsverordung hinausgehenden Kompetenz, realisiert sich die Mediation in einem erkenntnisbasierten Gedankengang.

Der Inbegriff der Mediation

Mit dem Inbegriff der Mediation wird das Mediationsverständnis angesprochen. Es gibt sehr amorphe Vorstellungen darüber.6 Sie reichen vom Weicheigelaber, über irgendeine Art der verhandlungsbasierten Streitvermittlung bis zu einer hochkompetenten Herangehensweise bei der Konfliktbewältigung. Nur im letzten Fall ist sie in der Lage, die schwierigen Fälle zu lösen.

Das ungeklärte Mediationsverständnis legt es nahe, sich an Definitionen zu klammern. Leider helfen sie nicht weiter. Ganz abgesehen davon, dass sie in einem internationalen Vergleich weit auseinandergehen, verdecken sie den Blick auf das, worauf es ankommt. Die Definition im Mediationsgesetz erwartet lediglich das Anstreben einer einvernehmlichen Konfliktbeilegung. Ganz abgesehen davon, dass sie auch noch Eigenschaften mit Prinzipien vermischt, ist diese Definition kaum in der Lage zu beschreiben, worum es geht. Das Anstreben einer einvernehmlichen Konfliktbeilegung kann alles und nichts bedeuten. Hinweise, wozu die Mediation in der Lage ist oder was ihre Kompetenz ausmacht, ergeben sich daraus jedenfalls nicht.

Anders als eine Definition lässt sich das Verständnis auf die Bedeutung des Definiendums ein. Wir nähern uns ihrem Inbegriff, wenn wir versuchen, die Mediation mit nur einem einzigen Eigenschaftswort zu beschreiben. Das gesuchte Eigenschaftswort soll nicht nur ihre Kompetenz, sondern auch ihre Leistungsanforderungen kennzeichnen. Meistens werden Worte wie emphatisch, konstruktiv oder einvernehmlich genannt. Sie sind unspezifisch. Das können andere Verfahren auch. Für mich lautet das markanteste Eigenschaftswort komplex. Die Komplexität umschreibt sowohl die Eigenschaft der Mediation wie ihre Fähigkeit im Umgang mit ihr.7

Man mag darüber streiten, ob die Mediation selbst komplex ist oder nur kompliziert kompliziert. Sie muss mit Menschen umgehen. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Menschen sind zweifellos komplex. Die Mediation muss damit zurecht kommen. Ihre eigene Komplexität ist eine logische Folge des Umgangs mit Menschen. Indem sie alle Sichten und Ebenen in sich aufnimmt, nimmt sie deren Komplexität in sich auf.

Der Hinweis auf die Komplexität deutet Grenzen an. Die Grenzen liegen in der Komplexität selbst. Sie lässt sich niemals vollständig bewältigen. Schon indem wir semiotisch darüber sprechen, reduzieren wir sie. Wir können ihrer Bewältigung aber nahekommen. Wenn dies mit den Mitteln der Mediation gelingt, bietet sie nicht nur einen Ausweg aus schwierigen Problemlagen. Sie bietet auch eine Handhabe, den Paradigmenwechsel und die zunehmende Komplexität der modernen, globalen Welt zu bewältigen und ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Komplexität wird durch eine nicht lineare (unvorhersehbare) Kausalität und viele unübersichtliche und zum Teil unbekannte Variablen gekennzeichnet, die alle miteinander vernetzt sind und sich gegenseitig beeinflussen. Genau diese Kennzeichen finden wir in der Mediation wieder. Wenn wir der Mediation die Fähigkeit zum Umgang mit der Komplexität zuschreiben wollen, müssen wir zunächst ihre eigene Komplexität erkennen. Den ersten Hinweis darauf finden wir in der Abgrenzung zwischen dem Verfahren und dem Prozess.

Der Prozess hinter dem Verfahren

Es fällt auf, dass die EU-Direktive sogar das Wort process verwendet und nicht vom procedure spricht. Leider werden die Begriffe Prozess und Verfahren oft synonym verwendet, obwohl sich eine Unterscheidung anbietet. Die Internationale Organisation für Normung (ISO) beschreibt einen Prozess als „eine Reihe miteinander verbundener oder interagierender Aktivitäten, die Eingaben verwenden, um ein beabsichtigtes Ergebnis zu liefern“.8 Die Definition des Prozesses nimmt also Merkmale der Komplexität in sich auf, die auf die Vernetzung der Variablen hinweist. Der Begriff des Verfahrens legt darauf keinen Wert. Er will den Prozess formalisieren, indem er die auszuführenden Schritte vorgibt. Ganz abgesehen davon, dass sich die Schritte der Mediation nicht algorithmisch beschreiben lassen und dass sie vielschichtiger sind als es die Abwicklung der Phasen zu beschreiben vermag, verleitet der Blick auf ihre Abfolge dazu, die inneren Zusammenhänge zu übersehen, die aus einer Verhandlung eine Mediation machen. Wenn wir uns darauf verständigen, dass der Prozess den in sich logischen Vorgang abbildet, kommt er dem Inbegriff der Mediation näher als der Verfahrensbegriff, der sich lediglich auf die Form einlässt.

Viel wichtiger als Regeln und Formalien, ist die Kenntnis der Zusammenhänge und der Interaktion ihrer Elemente. Alle Elemente, die zur Verwirklichung der Mediation beitragen, werden als funktionale Einheiten identifiziert.9 Ihr Zusammenwirken folgt einer inneren Logik. Eine empathische Gesprächsmoderation, die auf einen konstruktiven Dialog abzielt,10 erfüllt diese Logik, wenn überhaupt, nur zufällig. Eine Mediation wird erst daraus, wenn sich der Dialog aus folgerichtig zusammenhängenden Schritten zusammensetzt, mit denen sich der innere Zusammenhang der Mediation verwirklicht.11 Wir müssen die verschachtelte Logik der Mediation besonders dann verstehen, wenn es um schwierige Fälle geht. Der formale Ablauf genügt dafür nicht.12 Um der Logik der Mediation auf den Grund zu gehen, liefert ihre systematische Verortung in der Verfahrenslandschaft einen ersten Anhaltspunkt.

Die Systematik der Verfahren

Anders als die Definition gibt der Verfahrenscharakter einen besseren Hinweis auf die Verwendbarkeit des Verfahrens. Um den Charakter zu erkennen, wird der Verfahrensbegriff weit gefasst. Er bezieht auch eine Beratung oder eine Therapie mit ein. Die Korrelation mit ihrer Verwendung stellt sich her, wenn die Verfahren auf der obersten Gliederungsebene in Helferinstanzen eingeteilt werden. Sie lassen sich nach Zahl und Rang der Helfer einer monadischen, einer dyadischen und der triadischen Instanz zuordnen. Die Instanzen lassen sich auf den Hilfsbedarf ein. Es entspricht durchaus dieser Logik, wenn das Mediationsverfahren erst in der letzten, triadischen Instanz zum Zuge kommt, wenn ein neutraler Dritter hinzuzuziehen ist.

Innerhalb der triadischen Instanz können die Verfahren den Kategorien Streitentscheidung oder Streitvermittlung zugeordnet werden. Das Gerichtsverfahren ist der Prototyp der Streitentscheidung. Innerhalb der Streitvermittlung ist zwischen der Schlichtung und der Mediation zu unterscheiden. In allen Fällen determiniert die Rolle des Dritten das Kommunikationsverhalten, die zu verwendende Strategie, die Verantwortlichkeit und den einzunehmenden Fokus. Das sind die Kriterien, die eine Charakterisierung der Verfahren erlauben. Erst mit ihnen wird es möglich, die Schlichtung treffgenau von der Mediation zu unterscheiden. Wegen ihres unterschiedlichen Schwerpunktes stellt sich die Schlichtung als eine Lösungsvermittlung dar. Die Mediation ist eine Verstehensvermittlung. Sie erkennt das wechselseitige Verstehen als eine Bedingung dafür, dass die Parteien selbst die Lösung entwickeln können. Ihr Fokus liegt auf dem Verstehen, nicht auf der Lösung!

Einfluss der Nachfrage

Bei einem Vergleich der Verfahrenssystematik mit der Nachfrage fällt auf, dass weder das Angebot noch die Nachfrage nach Mediation warten wollen, bis die triadische Instanz zum Zuge kommt. Die Mediation dringt immer mehr in die vorgeschalteten Helferinstanzen vor. „Zuerst zum Mediator“, lautet die Aufforderung, die manche Mediatoren an die Parteien richten. Der Hinweis trifft zumindest dann zu, wenn die Mediation, anders als das Mediationsverfahren, immer und überall eingesetzt wird und die richtigen Weichen in die Konfliktbeilegung stellt.

Haben wir nur das Mediationsverfahren im Blick, sieht die Statistik entmutigend aus. Danach landen nur ca. 1% der gerichtlichen Streitigkeiten in der Mediation.13 Die Statistik ist jedoch lückenhaft. Ihre Orientierung an den gerichtlichen Verfahren ist juristisch geprägt. Sie verkennt sowohl den Bedarf wie auch den Wirkungsbereich der Mediation. Er umfasst viele Entscheidungen, die ein Richter gar nicht treffen kann. Z.B. kann in der Mediation die Frage beantwortet werden, ob sich Eheleute scheiden lassen. Auch die Frage, wie sich die Beziehung zum Ehegatten, zu Kindern, zu Mitarbeitern oder das Betriebsklima verbessern lässt, fällt in den Zuständigkeitsbereich der Mediation, niemals aber in den des Gerichts. Wir müssen lernen, die Mediation nicht als eine billige Alternative zum Gerichtsverfahren zu begreifen und anfangen, ihren eigenen Wert zu schätzen. Er geht weit über die Kompetenz eines Gerichtsverfahrens hinaus. Die Mediation wird degradiert, wenn sie an den Maßstäben der konventionellen Verfahren gemessen wird. Sie ist anders.14

Obwohl die Mediation eigentlich auf Konflikte in den Eskalationsstufen 4-6 zugeschnitten ist, wird sie meist bei niedrigschwelligen Konflikten der Stufen 1-3 und nur selten bei hoch eskalierten und ausweglos erscheinenden Fällen in Anspruch genommen.15 Die Nachfrage kommt der Mediation entgegen. Denn sie ist ideal geeignet, wenn es um die Konfliktvermeidung geht. Mithin eignet sie sich auch ideal zur Gewaltvermeidung. Bei einer strengen Gesetzesauslegung wäre das Mediationsverfahren gar nicht anwendbar, weil (noch) kein Konflikt vorliegt.

Mit dem Bemühen, die Mediation in die vorgelagerten Helferinstanzen einzubinden, erweitert sich ihr Leistungskreis. Spätestens jetzt wird deutlich, dass die Mediation mehr ist als nur das angedachte Verfahren. Sie rückt die Nähe der Beratung und konkurriert in diesem Bereich eher mit dem Coaching und der Supervision.

Verfahrenssystematik


Dass die Mediation bei hoch eskalierten Konflikten eher nicht nachgefragt wird, ist eine Folge des Konfliktverhaltens. Wir können davon ausgehen, dass der Konflikt nicht hoch eskaliert sein kann, solange sich die Parteien selbst für eine Mediation entscheiden und auf einen Mediator einigen können. Er bewegt sich dann in dem Bereich, wo nach Glasl eine Moderation ausreichend wäre. Wenn sich die Mediation in diesen Fällen für zuständig erklärt, schöpft sie nicht die Fähigkeiten aus, die ihr zu eigen sind. Ihr Potenzial bleibt auch der Nachfrage verborgen, wenn sie mit diesen Fällen gleichgesetzt wird.

Die Anforderungen an die Mediation wachsen mit der Eskalation. Der Widerstand gegen jede Form des Einvernehmens wird größer, je höher der Konflikt eskaliert. Jetzt begegnen wir dem Phänomen, dass eine Partei zwar eine Mediation möchte, die andere sie aber ablehnt. Die Ablehnung ist Ausdruck der Feindlichkeit. Sie kann auch Formen einer passiven Gewalt annehmen und führt zu der Frage, wie die Mediation mit dieser Form von Gewalt umgeht. Sie muss damit zurecht kommen. Erfahrungen zeigen, dass es kaum gelingt, die feindliche Partei von der Mediation zu überzeugen. Nur ein angepasstes, einfühlsames Vorgehen, das als Migrationsstrategie beschrieben wird, kann dazu beitragen, die Feindschaft zugunsten einer Auseinandersetzung zurückzustellen.16 Trotzdem ist die Mediation möglich, auch wenn die Parteien dazu neigen, sie abzulehnen.17 Lediglich die Herausforderungen nehmen zu. Hoch eskalierte Konflikten bedürfen einer kompetenten Umsetzung der Mediation und einer Autorität, die die Parteien in die Mediation führt und in der Mediation festhält. Jetzt kommt es darauf an, wie das Prinzip der Freiwilligkeit verstanden wird und wie sich die Autorität mediationskonform vor diesem Hintergrund herstellen lässt, damit die Mediation auch in solchen Fällen zur Verfügung steht.

Die Krux der Vielfalt

Dass die Mediation in dieser großen Bandbreite zur Verfügung steht, verdankt sie ihrer Vielfalt. Das Mediationsverzeichnis hat bereits 185 verschiedene Varianten allein im deutschsprachigen Raum erfasst.18 Nicht jede Variante verdient ihre Bezeichnung. Andere wiederum werten die Mediation nicht nur begrifflich auf. Weil dem so ist, sollte die Mediation nicht durch Regelungen gestutzt werden. Erst recht nicht, wenn man sich nicht mit all ihren Konzepten auseinandergesetzt hat. Man sollte stets im Blick haben, dass es Herleitungen gibt, die weit über das Harvard-Konzept hinausgehen. Solange die Mediation jedoch auf das Verhandlungskonzept reduziert wird, ist sie tatsächlich nicht mehr als ein zahnloser Tiger und bei hoch eskalierten Konflikten wenig hilfreich.


Das zuvor abgebildete Schema stellt eine Systematik vor, die eine Klassifizierung der Mediation im Einzelfall ermöglicht.19 Ihre Leistungsfähigkeit lässt sich daran ablesen, ob die Klassen korrekt zusammengesetzt werden. Den Ausgangspunkt bildet das Mediationsverständnis. Es wird durch unterschiedliche Konzepte spezifiziert, die sich auf ihre wissenschaftliche Herleitung einlassen. Auf dieser Ebene begegnet die auf dem Harvard-Konzept basierende Mediation beispielsweise einer wesentlich leistungsfähigeren Mediation, die auf die kognitive Mediationstheorie zurückgeführt und als integrierte Mediation bezeichnet wird.20 Das Konzept beschreibt die Herleitung und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Mediation. Das zugrunde gelegte Konzept wirkt sich auf die Herangehensweise der nächsten Ebene aus. Dort werden die Mediationsmodelle eingeführt. Sie bestimmen die jeweilige Bearbeitungstiefe. Das Mediationsformat bildet die darunter anzusiedelnde Ebene heraus. Hier werden die Arbeitsbedingungen festgelegt. Die davon zu unterscheidenden Anwendungsfelder der nächsten Ebene definieren das erforderliche Hintergrundwissen. Der Stil ist lediglich eine persönliche Note. Im Idealfall passt er sich den Anforderungen des Falles an. Weil die Klassen in einer logischen Beziehung stehen, geben sie einen Hinweis auf weitere Komplexitätsvariablen, die für die Mediation zu determinieren sind. Es gibt aber noch mehr davon.

Zielsetzung als erste Weichenstellung

Die Frage, ob und wo die Mediation gegebenenfalls an ihre Grenzen kommt, hängt entscheidend mit der Frage zusammen, was sie bewirken soll. Die Zielsetzung gibt einen wichtigen Hinweis. Wenn sie richtig gesetzt wird, weist sie eine weitere, wichtige Abweichung zu anderen Verfahren auf.

Wenn die Mediation als ein lösungsorientiertes Verfahren beschrieben wird, rückt sie in die Nähe der Schlichtung, in der die Lösung nach vorne gestellt wird. Die Sichtweise passt zum Harvard-Konzept. Sie schränkt jedoch ihre Möglichkeiten ein. Nur wenn die Mediation als ein nutzenorientiertes Verfahren beschrieben wird, erweitert sie ihren Wirkungsgrad, der sich dann dramatisch von anderen Verfahren unterscheidet. Dann ist ihr Ziel auch nicht die Einigung. Die Einigung ist vielmehr eine Folge der Zielerreichung und lediglich ein mögliches Ergebnis. Sie ist der erste Schritt zur Umsetzung der gefundenen Lösung.21 Das dem Ergebnis vorausgehende Ziel ist das Finden einer Lösung. Es genügt nicht, irgendeine Lösung zu finden. Damit die Lösung am Nutzen ausgerichtet werden kann, muss sie das Kriterium erfüllen, dass sie alle Beteiligten zufrieden stellt. Mit dieser Zielsetzung wird aus der Mediation ein Suchprozess, was strategische Konsequenzen nach sich zieht. Gleichzeitig stellt sie als einziges Verfahren, den Nutzen nach vorne. Die ethische Rechtfertigung dieser Vorgehensweise findet sich im Utilitarismus.

entscheidungsprozess


Vergleicht man die sich aus der Zielsetzung ergebende Fokusverschiebung mit anderen Verfahren, fällt die besondere Herangehensweise der Mediation ins Auge. Indem der Nutzen, der zeitlogisch erst nach der Lösung eintreten kann, über die Nutzenerwartungen nach vorne gezogen wird, kommt es zu einer Umkehr der Entscheidungslogik. Man könnte sagen, dass die Mediation den Entscheidungsprozess rückwärts abwickelt. Die Nutzenerwartungen ergeben die Kriterien für die nachfolgend zu suchende Lösung. Eine Mediation, die diese Kriterien nicht herausarbeitet, ist keine Mediation im Verständnis der kognitiven Mediationstheorie. Denn nur so kann sie ihr Versprechen zur Herbeiführung einer optimalen Lösung einhalten.

Streitdimensionen als zweite Weichenstellung

Eine weitere Besonderheit der Mediation ist die erweiterte Bearbeitungstiefe. Auch sie trägt zur Komplexitätsbewältigung bei. Sie ist ein zusätzliches Merkmal, das die Mediation von anderen Verfahren unterscheidet. Der Unterschied lässt sich mit einem Blick auf das Streitkontinuum verdeutlichen.


Das Streitkontinuum nennt die Dimensionen, die im Konflikt anzusprechen sind. Es liegt auf der Hand, dass ein Konflikt nur dann vollständig beigelegt werden kann, wenn alle Dimensionen bearbeitet werden. Das Kontinuum stellt die Fakten den Emotionen und Beziehungen gegenüber und die Positionen den Interessen und Bedürfnissen. Wenn Sie die Verfahren daran ausrichten, wird erkennbar, dass keines der konventionellen Verfahren von Haus aus alle Streitdimensionen abdeckt. Die Mediation wäre dazu in der Lage, aber nicht jede. Jetzt kommt es darauf an welches Mediationsmodell in welchem Konzept zum Einsatz kommt. Die dem Harvard-Konzept entsprechende facilitative Mediation stellt das Interesse heraus. Weil das Interesse auf eine Lösung gerichtet wird, schöpft es die Möglichkeiten der Konfliktbeilegung nicht vollständig aus.22 . Die Dimension der Bedürfnisse und der Beziehungen kommt zu kurz. Die Grenze lässt sich überwinden, indem statt auf die Interessen auf die Motive abgestellt wird. Die Motive sind mit den Bedürfnissen und den Beziehungen verknüpft, die sich im Nutzen verwirklichen und Lösungen zurückstellen.

Die Positionierung im Streitkontinuum erklärt, wann und warum die interessenbasierte Mediation ihre Grenzen findet. Sie wäre bei Konflikten mit Gewaltthemen kaum denkbar, weil es dort nur vordergründig um die Lösung geht. Der Konflikt geht tiefer. Das Mediationsmodell, das sich auf die Bedürfnisse und Beziehungen einlassen kann, ist die transformative Mediation. Aber auch dieses Modell stößt an Grenzen. Bei hoch eskalierten Konflikten und bei Gewaltthemen muss die Bearbeitungstiefe in besonderer Weise den aktuellen Fähigkeiten und Befindlichkeiten der Parteien und der Konfliktlage angepasst werden. Manchmal bedarf es einer Hinführung, bis sich die Partei darauf einlassen kann. Deshalb kann es erforderlich werden, die Modelle zu wechseln, mit Formen zu koordinieren und gegebenenfalls zu erweitern, indem sie an ein umfassenderes Mediationskonzept angepasst werden. Wie das geschieht, beschreibt die integrierte Mediation.

Mediation ist anders!

Ohne näher auf die Details einzugehen, deutet sich schon mit diesen rudimentären Hinweisen an, dass die Mediation anders ist. Zumindest die auf der kognitiven Mediationstheorie basierende Mediation verwirklicht eine wichtige Erkenntnis Albert Einsteins. Einstein stellte heraus, dass das Denken, das in ein Problem hineinführt, nicht aus dem Problem herausführen kann. Das heißt: Wenn wir das Denken, das in einen Krieg hineinführt, anwenden, um den Krieg zu beenden, findet sich tatsächlich keine Exitstrategie. Wir denken immer noch im Kontext eines Krieges und haben immer noch Krieg im Kopf. Dann ist es nachvollziehbar, wenn die Diplomatie als die Fortsetzung des Krieges nur auf einer anderen Ebene bezeichnet wird.

Um aus dem Krieg und der Gewaltspirale herauszukommen, ist ein Umdenken erforderlich, das uns aus der tödlichen Linearität befreit. Die kognitive Mediationstheorie erläutert den zum Umdenken führenden Gedankengang. Sie ist die bisher einzige Theorie, mit der sich die Zusammenhänge und Wirkweisen der Mediation im Detail zu beschreiben lassen. Sie stellt die Kompetenz der Mediation nach vorne, indem sie die Mediation als einen Weg beschreibt, der die Gedanken in eine Lösung führt, in der das Problem nicht mehr auftaucht.

Nach diesen Ausführungen ist die Mediation im hier verstandenen Sinn ein Prozess der parteiseitigen, erkenntnis- und verstehensbasierten Suche nach einer Lösung, die Widersprüche auflöst und alle Parteien zufriedenstellt. Von diesem Mediationsverständnis gehe ich aus, wenn ich im Folgenden ansatzweise die Leistungsfähigkeit der Mediation beschreibe.

2. Was kann die Mediation leisten?

Wenn die Mediation eine Lösung finden soll, mit der alle zufrieden sind, fragen Sie sich jetzt möglicherweise, ob es die Aufgabe eines Mediators sein kann, Gewalttäter oder Kriegstreiber zufriedenzustellen. Schon diese Frage führt in das konventionelle Denken zurück. Es löst zumindest dann nicht aus dem Problem, wenn es nicht anders gelingt, die Opfer zu schützen und einen nachhaltigen Frieden herbeizuführen. Ich habe auch schon das Argument gehört, dass der Verbrecher doch bestraft werden müsse. Eine Mediation würde ihm Recht geben und sein Verhalten akzeptieren. Die dem Täter dadurch zukommende Wertschätzung wurde sogar schon als dunkle Seite der Mediation bezeichnet. Auch in dieser Argumentation kommt das konventionelle Denken zum Vorschein. Es hat sich noch nicht auf die Denkweise der Mediation eingelassen. Die Wertschätzung des Einzelnen ist eine Folge der Wertschätzung der Menschheit. Sie beinhaltet keine Bewertung und ist nicht mit der Wertschätzung des Handelns gleichzusetzen. Verstehen bedeutet nicht Zustimmung.

Die kognitive Mediationstheorie beschreibt die Mediation als ein Metaverfahren, das alles in den Blick nehmen kann. Der Mediator ist die personifizierte Metaebene.23 Die Metaebene ist völlig wertfrei. Sie gibt niemandem recht. Sie ermöglicht lediglich die erforderlichen Einsichten über die Frage von Recht und Unrecht und überlässt die Entscheidung, wie damit umzugehen ist, den Parteien.

Die Mediation will verstehen. Ihr Zweck ist die Verstehensvermittlung. Durch den Verstehensprozess sollen die Parteien in die Lage versetzt werden, die richtige Entscheidung zu treffen. Die Mediation verurteilt nicht und spricht auch nicht frei. Trotzdem schließt ihre Herangehensweise eine Bestrafung nicht aus. Die Mediation würde allerdings anders damit umgehen und eher über eine Wiedergutmachung nachdenken. Es gibt Beispiele dafür, dass sie im kriminellen Umfeld Erfolge erzielt, wo der Interessenausgleich sowohl die Rehalilitation des Täters wie den Opferschutz im Blick hat.24 Ihr Blick ist stets in die Zukunft gerichtet. Ihre Stärke liegt darin, die verborgenen Chancen zu erkennen, die eine Zukunft ermöglichen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein zur Einsicht führendes Verstehen zu vermitteln. Das Argumentieren und überzeugen erweist sich als die schlechteste, wenn der Grundkonsens fehlt, wenn die Sicht auf das was Recht und was Unrecht ist voneinander abweicht und wenn die Emotionen so hochgekocht sind, dass sie den Verstand verdrängen. Zum Glück ist der Mensch komplex und vielschichtig und kaum durch eine Schwarz-Weiß-Malerei zu beschreiben. Erst der Blick auf die Vielfalt des Ganzen, erlaubt es, seine Potenziale zu erkennen. Weil sich die Mediation auf seine mit Umweltbedingungen abgestimmte Vielschichtigkeit einlassen kann, kenne ich keine bessere Möglichkeit der Verstehensvermittlung als die der Mediation.

Was macht das Verstehen so schwer?

Die Begründung, warum die Mediation die optimalste Form der Verstehensvermittlung ist, erschließt sich, wenn wir uns mit der Frage befassen, was das Verstehen so schwer macht. Die Mediation muss die Verstehenshindernisse erkennen, wenn sie den Parteien helfen will, selbst eine zufrieden stellende Lösung zu finden. Sie würde sich selbst verleugnen, wenn sie selektiert.

Ihre Grundlage ist das Axiom, dass die parteizentrierte Lösungssuche gelingt, wenn alle dasselbe (oder wenigstens einander) verstehen. Wenn der Mensch alles versteht und alles im Blick hat, findet er immer die beste Entscheidung. Keinesfalls versteht ein Mediator mehr als andere Menschen. Er ist ja auch nur ein Mensch. Weil ihm die Mediation aber den Weg in die Lösung zeigt, kann er erkennen, wo Gedanken zielführend sind und wo nicht. Die Mediation kennt nicht nur die Hindernisse, die den Parteien im Wege stehen. Sie kann sie auch umgehen und überwinden. Wenn der Mediator die Wirkung der Mediation erkennt, besteht seine Kernaufgabe lediglich darin, die Mediation zur Wirkung zu bringen.

Jeder Mediator weiß, dass das aktive Zuhören bereits eine große Wirkung erzielt. Weil das Spiegeln durchaus zu Erkenntnissen führen kann, die tragfähige Lösungen ermöglichen, wird die Mediation oft damit gleichgesetzt. Der Effekt tritt allerdings nur dann ein, wenn die Parteien bereit sind, sich auf die Gedanken einzulassen. Diese Bereitschaft kann bei einer niedrigen Eskalation unterstellt werden. Damit bewegen wir uns in den Eskalationsstufen 1-3. Die Technik des aktiven Zuhörens verliert bei höher eskalierten Konflikten allerdings ihre Wirkung. Sie kann zwar gesteigert werden, wenn die Technik in die Phasen der Mediation eingebunden wird. Deshalb kann die Mediation in den Eskalationsstufen 4-6 angewendet werden. Sie ist dort auch wirkungsvoll, wenn sie transformativ ausgeführt wird. Allerdings geht sowohl die parteiseitige Bereitschaft wie ihre Fähigkeit zum Verstehen mit der weiteren Eskalation verloren. Dann helfen auch die Phasen nicht mehr viel. Die Parteien lassen selbstkritische Gedanken nicht mehr in ihren Kopf. Ihr Widerstand wird größer. Jetzt braucht es mehr als ein paar Techniken und ein bisschen Struktur, um eine Wirkung zu erzielen. Jetzt kommt es darauf an, die hinter dem Phänomen verborgene Komplexität zu erfassen, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die dem Verstehen im Wege stehen.

Die Verstehenshindernisse

Auch wenn wir dazu neigen, die Schuld beim anderen zu suchen und den Grund für sein Verhalten zu kennen, ist der Mensch und damit auch die Konfliktsituation oft zu komplex, um nach monokausalen Ursachen zu suchen, die das Verstehenshindernis aufdecken oder erklären können. „Ja, aber das ist doch ein Gewalttäter. Was gibt es da zu verstehen?“, lautet der Einwand. Die Gewaltanwendung ist ein Fakt. Sie lässt sich evaluieren. Gewalt ist jedoch relativ. Sie kann verschiedene Ursachen haben und vielfältig in Erscheinung treten. Sie zu verstehen, ist eine ganz andere Frage. Aber nur so kann ihr die Grundlage entzogen werden.

Der Mensch unterliegt vielen Einflüssen, die sein Denken und Handeln bestimmen. Wenn die Hindernisse aufzuführen sind, die seine Einsicht blockieren, steht die Komplexität ganz oben auf der Liste. Neben dem Phänomen der Komplexität finden wir Hindernisse in der Wahrnehmung, der Kommunikation, im Denken, den zugrunde liegenden Denkweisen, im Fokus und im Kontext, in den Emotionen und Persönlichkeitsmerkmalen, in der Eskalation, im Konflikt, in den strategischen Vorgaben, im sozialen Umfeld, in der Kultur und nicht zuletzt in der Systemik und den Außeneinflüssen. Natürlich sind die hier nur exemplarisch erwähnten Hindernisse alle miteinander vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig.25

Komplexität lässt sich bewältigen, indem ihre Variablen identifiziert, in eine systemische Ordnung überführt und ihre interaktive Vernetzung aufgedeckt wird. Genau das ist der Ansatz der kognitiven Mediationstheorie. Ohne auf die Systemik der Mediation näher einzugehen, dürfte schon jetzt klar werden, dass die Mediation mehrere, ineinander verschachtelte Strukturen bereitstellt, die über die lineare Phasenstruktur hinausgehen. Schon wenn wir uns auf den kognitiven Verstehensprozess konzentrieren, ergibt sich eine überlagernde Struktur, die aus der Aufnahme, der Verarbeitung und der Weitergabe von Informationen besteht. Diese Struktur ist mit der Phasenstruktur zu koordinieren. Fehlerquellen finden sich in allen Abschnitten. Naheliegend sind natürlich die Fehler bei der Aufnahme von Informationen, also der Wahrnehmung und ihrer Weitergabe, mithin der Kommunikation. Ich denke, dass diese Fehlerquellen allen Mediatoren bekannt sind. Deshalb konzentriere ich mich auf die Hindernisse, die sich mit der Verarbeitung von Informationen, befassen. Denn hier finden wir einen weiteren Schlüssel, wenn es darum geht, Grenzen zu überwinden.

Die Ursache allen Übels

Um zu verstehen, wie Menschen Informationen verarbeiten, müssen wir in etwa verstehen, wie unser Gehirn funktioniert. Vereinfacht ausgedrückt, besteht es aus drei funktionalen Einheiten, dem Neokortex, dem limbischen System und dem Stammhirn. Trotz seiner unendlichen Vernetzung hängt die Informationsverarbeitung davon ab, welcher Teil des Gehirns gerade aktiv ist. Der Neokortex ist für die rationale Informationsverarbeitung zuständig. Er ist bei der Problembewältigung anzusprechen. Das limbische System steuert die Emotionen und den Reizfluss. Es ist bei Konflikten anzusprechen. Wenn die Reize bei Gefahr oder hoch eskalierten Konflikten nur noch im Stammhirn landen, befindet sich der Mensch im Kampf-Fluchtmodus. Der Kampf-Fluchtmodus stellt einen antiquierten Schutzmechanismus dar. Er soll die Handlungsfähigkeit bei Gefahr sicherstellen. Denken würde die Reaktionsfähigkeit behindern, weshalb das Gehirn die rationale Handlungskontrolle regelrecht abschaltet. Es kommt zur Kompetenz-Amnesie. Ich weiß gar nicht, wer in der kriegsbereiten Welt alles darunter leidet. Sichtbar wird lediglich, dass die Vernunft auf der Strecke bleibt. Das erleben wir auch bei den hoch eskalierten Konflikten im privaten Bereich, wie etwa im Rosenkrieg. Der Fokus hat sich auf die Vernichtung des Gegners gerichtet. Er erlaubt keinen anderen Gedanken mehr.

In dieser Situation macht es wenig Sinn, die Parteien mit rationalen Argumenten zu überwältigen. Ihr Gehirn tickt auf einer ganz anderen Ebene. Vielleicht ist das der Grund, warum behauptet wird, die Mediation sei bei hoch eskalierten Konflikten nicht möglich. Umgekehrt heißt das aber auch, dass sie möglich ist, sobald der Neokortex wieder zugänglich ist. Die kognitive Mediationstheorie zeigt einen Weg, wie das gelingt. Wieder kommt die Komplexität ins Spiel. Das Gehirn muss sie bewältigen. Es bedient sich dabei eines hinterhältigen Tricks, den die Mediation zu nutzen weiß.

Allein die Sinneswahrnehmung produziert etwa 11 Millionen Bits (Informationseinheiten) / Sekunde, die das Gehirn verarbeiten muss. Es ist dazu gar nicht in der Lage. Deshalb werden die Informationen gefiltert. Nur ein winzig kleiner Bruchteil davon gelangt in das Bewusstsein. Die meisten Informationen werden ausgeblendet. Ausschlaggebend für die Selektion sind Muster, die uns prägen oder Eindrücke, die uns wichtig erscheinen. Hier spielen die Emotionen eine wichtige Rolle. Die bewusst oder unbewusst vorgenommenen Selektionen definieren den Kontext, in dem wir uns gedanklich bewegen. Sie sind unser Gefängnis, wenn es der falsche Kontext ist. Wir merken die Gefangenschaft nicht einmal, weil uns der Plentitido-Effekt suggeriert, dass unsere Wahrnehmung stets die ganze Wahrheit erfasst. Zu allem Überfluss verstärkt der Dunning-Kruger Effekt noch die Fähigkeit, dieses Phänomen zu reflektieren. Dann kommen noch Persönlichkeitsmerkmale hinzu. Für den Mediator stellt sich in dem Moment die einzig relevante Frage, wie er die Reflexionsfähigkeit der Parteien wieder herstellen kann. Das Mittel der Wahl sind Zweifel. Nur Zweifel veranlassen ein Nachdenken. Der Mediator muss herausfinden, auf welcher gedanklichen Ebene er Zweifel wecken kann. Das Eingeständnis der Unwissenheit öffnet Türen.

Die Mediation befreit Gedanken. Das mag der Grund sein, weshalb manche Menschen und Systeme Angst vor ihr haben. Sie müssten es hinnehmen, in Frage gestellt zu werden. Die gedankliche Freiheit könnte bewirken, dass sie von ihren Plänen Abstand nehmen und die Wahrheit zu einer anderen wird. Wer sich verbissen hat, kann damit schlecht umgehen. Übersehen wird, dass die Korrekturen das Ziel nicht aus den Augen verliert. Die Mediation würde keine Lösungen akzeptieren, die nicht alle Betroffenen zufrieden stellt. Somit verwirklicht sie auch die Nutzenerwartung der ängstlichen, der besorgten und der verbohrten Partei. Der Grundsatz der Freiwilligkeit stellt sicher, dass niemand eine Lösung akzeptieren muss, die er nicht selbst herbeigeführt hat und in der er sich nicht wiederfindet. Also wo ist das Problem?

Denkweise als Hindernis

Wieder richtet sich der Fokus auf uns Menschen. Nicht nur die Biologie beschränkt unsere Denkfähigkeit. Auch die Kultur hat ihren Anteil daran. Sie drückt sich in Bewertungen und eingeübten Denkweisen aus. Wir neigen dazu, in diesem Kontext linear nach vorne zu denken. Die Frage, wie wir einen Krieg beenden oder wie wir mit einem Gewalttäter umgehen, führt in der linearen Logik zu eindeutigen Positionen und Lösungen. Das lineare Denken führt in das Problem hinein. Man muss sich deshalb nicht wundern, wenn das Problem zum Teil der Lösung wird.26 Die interessenbasierte Mediation kann das Denken zwar von der Position entfremden. Über die Interessen wird es jedoch noch immer an eine Lösung gekoppelt. Das wird deutlich, wenn Sie sich in dem Orangenbeispiel vorstellen, dass beide Kinder Orangensaft trinken wollen. In der linearen Logik kommt es dann zu einem Verteilungskonflikt. Die wirkliche Lösung liegt auf einer anderen Ebene und hat nichts mit Orangen zu tun. Um diesen Lösungsrahmen zu öffnen, muss das Denken also auch von der Lösung entkoppelt werden. Es muss in Sphären geführt werden, wo weder das Problem noch die Lösung den gedanklichen Kontext einengen. Das gelingt, wenn wir uns die Mediation als einen Gedankengang vorstellen.


Der Gedankengang führt in verschiedene gedankliche Ebenen hinein. Statt linear nach vorne zu denken, werden die Gedanken in eine "heile Welt" geführt, die sich auf den Nutzen konzentriert. Die Gedanken werden hinter das Problem gelenkt, sodass sie in der Lage sind, neue Kontexte zu erkennen und die Lösung auf einen fruchtbaren gedanklichen Boden zu stellen. Die Partei kann das Problem hinter sich lassen und die Gedanken völlig neu ausrichten. Diese Art des Denkens passt sich der lösungsorientierten Kurztherapie an und wird von der rückwärts gerichteten Entscheidungslogik unterstützt.

Der Ebenenwechsel verändert den gedanklichen Kontext. Wenn beispielsweise die auf die Lösung gerichtete Frage aufgeworfen wird, wie ein Krieg zu beenden ist, bleibt der Krieg der bestimmende gedankliche Kontext. Er erlaubt im Grunde nur drei Optionen. Sobald die Frage in einen anderen gedanklichen Kontext führt und beispielsweise lautet, wie wir Freunde werden oder wie wir uns eine friedliche Weltgesellschaft vorstellen könnten, stellt sich ein anderer gedanklicher Kontext her, der viele Optionen anbietet, in denen der Krieg nicht mehr vorkommt. Bei einem hoch eskalierten Konflikt wird die bloße Frage nicht genügen, um den gedanklichen Kontext zu wechseln. Jetzt kommt es auf das Zusammenspiel der funktionalen Einheiten an, das konsistente Impulse für ein Umdenken anbietet.

Strategie als Hindernis

Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Hindernis, das der Lösung im Wege steht, ergibt sich aus den strategischen Anforderungen. Um sie zu verstehen, hilft die Lehre der Konfliktevolution. Sie besagt, dass Menschen ihre Strategie erst wechseln, wenn die angedachte Strategie für sie keine Erfolgschancen mehr verspricht. Auf den Krieg bezogen bedeutet das, dass eine Verhandlungsbereitschaft erst dann aufkommen kann, wenn sich die militärische Niederlage abzeichnet. Das ist die logische Konsequenz des linearen Denkens innerhalb des Kontextes der Konfrontation. Dieses Denken schließt ab einer gewissen Eskalation jede Form der Kooperation aus. Ein Kooperationsangebot würde in dem Kontext sogar in einen Angriff oder in ein Täuschungsmanöver umgedeutet werden. Die Konfrontation schließt die Kooperation aus. Wer in einer Konfrontation kooperiert, erleidet strategische Nachteile. Um dennoch eine Kooperation zu ermöglichen, muss sich die Mediation auf strategische Überlegungen einlassen. Ihr kommt entgegen, dass in ihr verschiedene Strategien zusammenkommen und dass sich die Verfahrensstrategie mit der Konfliktstrategie synchronisiert.

Konflikt als Hindernis

Wenn hier exemplarisch von Lösungshindernissen die Rede ist, darf der Konflikt nicht fehlen. Er bewirkt nicht nur eine mangelnde Selbstwahrnehmung und eine extrem erhöhte Emotionalität. Er befeuert auch die Feindlichkeit im Denken und steht der Reflexion im Wege. Alle Reaktionen weisen auf eine Inbalance hin. Sie hat eine soziale und eine psychologische Komponente.

Wer mit sich im Reinen ist und sich seines Wertes bewusst ist, kann nicht beleidigt werden. Wer mächtig ist, muss seine Macht nicht demonstrieren. Wer den Angriff ignorieren kann, ist nicht angreifbar. Wer entspannt ist, sich austauschen kann und redliche Absichten verfolgt, braucht keine Gewalt, um seine Interessen durchzusetzen. Wenn der Gegner Grenzen überschreitet, sollte man nicht nur hinterfragen, warum er das tut. Man sollte auch sich selbst fragen, warum das so starke Emotionen auslöst. Der Konflikt gibt Hinweise darauf, dass sich die Innenwelt der Parteien gegen etwas auflehnt. Er will warnen. Leider neigt der Konflikt dazu, die Parteien in die Irre zu führen. Er gibt falsche Signale und lenkt den Blick auf den Gegner statt auf sich selbst. Jetzt wird eine Konfliktarbeit erforderlich, um die Irritationen aufzulösen und die wahre Botschaft des Konfliktes zu verstehen.

Die kognitive Mediationstheorie verbindet den Konflikt über die Konfliktdimensionen mit der Mediation. Diese Einteilung verwirklicht nicht nur das Prinzip aus dem Harvard-Konzept, das die Trennung von Mensch und Problem nahelegt. Sie erlaubt es auch, die mit dem Konflikt verknüpften Hirnregionen anzusprechen. Die Konfliktarbeit wird also nahtlos in die Mediation eingebunden.

Die Mediation arbeitet mit der Dynamik des Konfliktes. Sie nutzt dessen Energie, um Reflexionen zu ermöglichen. In der Kenntnis, dass der Konflikt stets einen inneren Bezug zum Menschen hat, lässt sie sich auf den Rumpelstilzcheneffekt ein. Der Konflikt verhält sich wie das Rumpelstilzchen im Märchen. Er löst er sich auf, wenn es gelingt, seinen wahren Namen zu nennen. Zumindest wird klar, was zu tun ist, um sich endgültig von dem Konflikt zu befreien. Diese Wirkung ist der Grund, warum eine gut geführte Mediation auch Heilungseffekte erzielt.

Der Blick unter die Motorhaube

Jeder Mediator kennt das faszinierendes Phänomen, dass die Parteien plötzlich aus heiterem Himmel und ohne erkennbaren Grund die Lösung kennen. Es gibt viele Erklärungsversuche, die wir übrigens eher in der Sozialwissenschaft als in der Psychologie finden. Am wenigsten finden wir sie im Recht. Die Systemtheorie spielt dabei eine wichtige Rolle. Bei dem Orangenbeispiel aus dem Harvard-Konzept, das unglücklicherweise meist mit der Mediation gleichgesetzt wird, wird nicht die Mediation, sondern nur ein Aspekt beschrieben, den die Mediation zu nutzen weiß. Um zu verstehen, wie die Mediation die Komplexität bewältigt und sich auf alle Aspekte des Konflikts einlassen kann, ist der Vergleich mit einem Puzzle naheliegender. Genau genommen werden mehrere Puzzlebilder gelegt.


Betrachten Sie die Puzzlesteine als eine Metapher für die Information. Jede Information hat eine Metainformation, so wie die Puzzlesteine Bildinhalte und Formen ausweisen, über die sich ihre Position im Bild festlegen lässt. Ähnlich ist die Vorgehensweise der kognitiven Mediationstheorie. Sie beschreibt, wie die Informationen anhand der Metainformation zu qualifizieren sind und wie die Metainformation abzustimmen und einzuordnen ist. Der Vorgang wird als Dimensionierung beschrieben, indem er alle Dimensionen der Mediation wie Komplexitätsvariablen anspricht. Weil die Dimensionen miteinander vernetzt sind, genügt es, die Informationen wie in einem Puzzle an die richtige Stelle zu legen und so einzusortieren, dass sie in den Köpfen der Parteien ein Bild ergeben, aus dem sie die Lösung entwickeln können.

3. Wo sind die Grenzen?

Die zuvor erwähnten Eckdaten mögen genügen, um einen ersten, groben Eindruck zu vermitteln, was die Mediation leisten kann. Um auszuloten, ob und wo die Mediation auf Grenzen stößt. soll die folgende Unterscheidung beitragen.

Rechtliche Grenzen

Die rechtlichen Grenzen beziehen sich auf das Mediationsverfahren und nicht auf die Mediation. Dass die EU-Richtlinie das Mediationsverfahren durchaus auch bei Gewaltanwendung und bei hoch eskalierten Konflikten vorsieht, kann aus der Öffnung der Vertraulichkeit bei Gefährdung von Parteien geschlussfolgert werden. Diese Vorschrift würde keinen Sinn ergeben, wenn sich die Mediation nicht mit Gewalt befassen darf. Alle Gesetze setzen zur Durchführung des Mediationsverfahrens eine Ausbildung voraus. Daraus ergibt sich eine rechtliche Grenze seiner Anwendbarkeit. Ich möchte allerdings betonen, dass diese Grenze nur das Mediationsverfahren i.S.d. Mediationsgesetzes, nicht die Mediation im erweiterten Mediationsradius, also ihre methodische Verwendung, betrifft. In Deutschland gibt es nur ein einziges explizites Mediationsverbot. Auch dieses Verbot betrifft nur das Mediationsverfahren. Es trifft bei bei Vor- oder Nachbefassung ein. Ansonsten ergeben sich die rechtlichen Grenzen aus dem allgemeinen Recht. D.h. der Mediator darf nicht zum Beihelfer einer Straftat werden und die Mediation darf keinen sittenwidrigen Zweck verfolgen. Die Mediation ersetzt das Recht nicht. Sie gestaltet es. Die Gestaltung beschränkt sich auf den Rahmen, in dem Bürger Rechtsbeziehungen gestalten können. Es gib noch berufsrechtliche Grenzen. Ein Mediator der kein Anwalt ist darf keine Rechtsberatung machen. Ein Mediator der kein Therapeut ist, darf nicht therapieren. Dafür gibt es in der Mediation aber auch keinen Bedarf. Denn weder Rechtsberatung noch Therapie zählen zu den immanenten Aufgaben der Mediation. Es gibt jedoch Schnittstellen.

Konfliktbedingte Grenzen

Der Konflikt setzt keine Grenzen. In gewisser Weise überwindet er sie sogar, indem er sich nicht an die Begrenzungen der Fächer und Disziplinen hält, die der Mediation gerne zugeschrieben werden. Die fachliche Begrenzung könnte also die Konfliktarbeit einschränken. Der Konflikt stellt jedoch Hindernisse in den Weg. Sie wirken sich auf das Zustandekommen, die Durchführung und die Abwicklung der Mediation aus. Eines der Hindernisse ist die konfliktbedingte Neigung, Vorschläge des Gegners (z.B. zur Durchführung einer Mediation) abzulehnen. Der Start einer Mediation fällt noch schwerer, wenn die Parteien nicht einmal miteinander reden, um sich auf eine Mediation einzulassen. Hinzu kommt dass sie bei hoch eskalierten Konflikten jede Gelegenheit wahrnehmen, die Mediation zu verlassen oder zu boykottieren. Der Widerstand, Gedanken in den Kopf zu lassen ist deutlich erhöht. Das alles sind jedoch Hindernisse, die sich überwinden lassen.

Grenzen der Mediation

Die Mediation im hier verstandenen Sinne wird nur dann undurchführbar, wenn sich keine Metaebene mehr herstellen lässt. Das ist ganz sicher der Fall, wenn die Tat so abscheulich ist, dass sie auch den Blick des Mediators auf das verdeckt, was die Zukunft einfordert. Das kann auch bei psychisch kranken Menschen oder bei Triebtätern der Fall sein, deren Mediationsfähigkeit eingeschränkt ist. Die Mediationsfähigkeit ist von der Mediationsgeeignetheit zu unterscheiden. Es gibt Möglichkeiten, die Mediationsfähigkeit herzustellen.

Ungeachtet dessen müssen Täter und Opfer, die Familien in denen häusliche Gewalt stattgefunden hat oder die Kriegsparteien oft auch in Zukunft miteinander auskommen. Das gelingt, indem sie ihren inneren und äußeren Frieden finden. Die Widerstände, sich damit auseinanderzusetzen, lassen sich überwinden. Die Erfahrungen im Altenkirchener Modell haben gezeigt, dass sich der anfängliche Widerstand der streitbaren Eltern sogar in Glücksgefühle umwandelt, wenn sie ihre Handlungsfähigkeit zurückgewonnen haben. Dann werden plötzlich Lösungen möglich, die zuvor als undenkbar angesehen wurden.

Auch die Befangenheit des Mediators stellt keine Grenze der Mediation dar. Sie ist nur eine Frage der individuellen Durchführbarkeit und des dazu erforderlichen Aufwands. Wieder finden wir die Grenzen in den Köpfen der Menschen. Sie liegen nicht im Prozess, sondern in der Persönlichkeit des Mediators und seiner Kompetenz im Zusammenspiel mit den Parteien. Es obliegt der eigenen Einschätzung des Mediators, zu beurteilen, wozu er in der Lage ist.

4. Wie werden die Grenzen überwunden?

Ich hoffe, dass die zuvor erwähnten Eckdaten genügen, um einen grundsätzlichen Eindruck zu vermitteln, dass und wie die Mediation Grenzen überwindet. Ihr Weg führt immer aus dem Streit heraus und in eine Auseinandersetzung hinein. Die Mediation erlaubt ein Umdenken, bei dem die Metaebene eine zentrale Rolle spielt.

Innerhalb des Mediationsverfahrens

Eine Auseinandersetzung mit Phänomenen der Moral, der Gewalt und der Macht ist möglich, wenn wir sie in Frage stellen. Wie es gelingt, die Parteien dazu zu bewegen, sich selbst zu hinterfragen, kann nur im Einzelfall geklärt werden. Die prinzipielle Herangehensweise ist jedoch stets die gleiche. Je nach dem zugrunde liegenden Szenario kann der Weg in die Reflexion allerdings sehr aufwändig sein. Dabei spielt es keine Rolle, dass außerhalb der Mediation Unmoral und Gewalt vorherrschen. Dort darf es auch ein Machtgefälle geben. Entscheidend ist, dass es gelingt, innerhalb der Mediation einen Raum zu schaffen, in dem es weder ein Machtgefälle, noch Gewalt oder Vorverurteilungen gibt. Es muss sichergestellt sein, dass die Auseinandersetzung darüber auf gleicher Augenhöhe möglich ist und dass sich eine Reflexionsebene herstellen lässt.

Die strategische Hürde lässt sich nehmen, indem die Mediation als ein anderes, neues Spiel initialisiert wird, das eine strategische Exklave zur Konfrontation abbildet. Jetzt kommt es der Mediation entgegen, wenn sie als ein Mediationsverfahren hochgradig formell gegen die Umwelt abgeriegelt wird. Es kommt darauf an, eine andere Welt zu schaffen, die anderen Regeln folgt, sodass die reale Welt von dort aus beobachtet werden kann, ohne Rücksicht auf das was dort geschieht und ohne die Gefahr, dass die Mediation missbraucht wird, um in den Verfahren der realen Welt Vorteile zu erzielen.

Auch wenn die Parteien einer Mediation zustimmen, kann nicht immer vorausgesetzt werden, dass sie sich wirklich darauf einlassen wollen. Der Mediator kann aber darauf vertrauen, dass die Bereitschaft zur selbstkritischen Reflexion innerhalb der Mediation Schritt für Schritt herbeigeführt wird. Das gelingt fast automatisch und unmerklich, wenn sich die Parteien auf den zuvor beschriebenen Gedankengang einlassen. Dann besteht eine reale Chance, dass Opfer eine Steigerung der Resilienz erfahren. Co-Abhängige werden aus der Abhängigkeit befreit. Täter lernen, andere Handlungsoptionen zu erkennen. Die Täter-Opferbeziehung wird aufgelöst und gegebenenfalls in eine tragfähige Beziehung umgewandelt. Manchmal genügt das, um der Gewalt die Grundlage zu entziehen.

Hoch eskalierte Konflikte bedürfen einer Autorität sagt man, um die Parteien in der Mediation zu halten. Anders als der Richter hat der Mediator keine Macht, die Parteien vorzuladen oder im Termin zu halten. Hier steht ihm die Freiwilligkeit im Weg. Ähnlich dem Konklaveprinzip gelingen Verhandlungen, wenn sie von allen Betroffenen als der letzte Ausweg gesehen werden. Wo die Vernunft nicht ausreicht, muss ein Verhandlungsdruck aufgebaut werden. Dazu ist nicht der Mediator, aber das Helfersystem in der Lage. Der Mediator kann dies nutzen, um Einfluss auf die Parteien zu nehmen. Er kann die erforderliche Autorität also indirekt herstellen.

Leider ist der Widerstand, sich auf das Gedankenspiel der Mediation einzulassen, bei einem hoch eskalierten Konflikt sehr groß. Wenn die immanente Herangehensweise der Mediation nicht genügt, um die Verstehenshindernisse aus dem Weg zu räumen, muss mit Interventionen nachgeholfen werden. Der Mediator muss sich auf die innere Bereitschaft der Parteien einlassen, um sie herbeizuführen. Die Mediation ist flexibel genug, um ihm das dazu erforderliche Instrumentarium anzubieten. Es bringt die Mediation gegebenenfalls auch in die Nähe eines Coachings oder einer Therapie, ohne das eine oder andere zu sein. Die Mediation endet immer mit einer Entscheidung. Die Entscheidung kann den Weg in das eine oder andere öffnen und bewirken, dass die Parteien an sich arbeiten und sich gegebenenfalls auf eine Therapie o.ä. einlassen. Es kann auch geboten sein, die erforderliche externe Beratung oder Therapie in die Mediation einzubeziehen. Mit deren Hilfe werden in der Abschlussvereinbarung Sicherungsmechanismen verabredet, damit die gefundene Lösung umsetzbar und tragfähig ist. Ihre Überwachung kann ebenfalls vereinbart werden. Auch insoweit bietet sich die Vernetzung und die Zusammenarbeit mit den dazu berufenen Fachleuten an.

Außerhalb des Mediationsverfahrens

Innerhalb des Mediationsverfahrens hat der Mediator Zugriff auf die Parteien. Er kann die Mediation zur Wirkung bringen. Der Bedarf, die Mediation zur Wirkung zu bringen, besteht bei hoch eskalierten Konflikten jedoch überwiegend außerhalb des Mediationsverfahrens, wo es darum geht, die Parteien aus der Eskalation zu führen. Problematischer sind deshalb die Fälle, wo der Mediator keinen Zugriff auf die Parteien hat und sich die Parteien noch nicht auf den gedanklichen Weg der Mediation eingelassen haben. Das ist regelmäßig im Vorfeld der Entscheidung für eine Mediation der Fall. Jetzt geht es um die Frage, wie sich die Hürden überwinden lassen, sich überhaupt auf den Prozess einzulassen.

Erfahrene Mediatoren wissen, dass es manchmal eine Mediation braucht, um eine Mediation in Gang zu bringen. Wenn sie nicht einmal Kontakt zu den Konfliktparteien haben, scheitert auch dieser Ansatz. Dann muss der Prozess ausgelagert werden. Das Konzept der kognitiven Mediationsteheorie erlaubt eine virtuelle Mediation, die den Prozess auch jenseits des Verfahrens in Gang bringen kann. Jetzt kommt es darauf an, dass das Helfersystem, also die jeweiligen Sachbearbeiter, wie etwa der Richter oder der Rechtsanwalt, die Kompetenz der Mediation nutzen, um den Weg in die Mediation zu bereiten. Die Mediation kommt methodisch zum Einsatz.

Das gedankliche Prinzip ist das gleiche. Paradoxerweise hat es sich gezeigt, dass die Verwendung der Mediation außerhalb des Mediationsverfahrens eine hohe Kompetenz des mit der Sache befassten Bearbeiters erfordert. Anders als im Mediationsverfahren findet er keine ausgebaute Verfahrensstraße vor, auf die sich die Parteien mit der Entscheidung für ein Mediationsverfahren einlassen. Er findet aber alle Komponenten vor, aus denen er den gedanklichen Weg abbilden kann. Anders als der Mediator hat er auch die Möglichkeiten dazu. Er hat sogar noch weitere Optionen, weil er den Weg gestalten kann.

Wenn eine Auseinandersetzung angesagt ist, sollte der Weg in die Kooperation leicht gemacht werden. Der Weg in die Konfrontation sollte schwer gemacht werden. Drohungen und Warnungen helfen nicht, wenn nicht zugleich der Ausweg gezeigt wird. Es ist außerordentlich wichtig, dass das Helfersystem auf ein gemeinsames Ziel abgestimmt und in ein paralleles Denken geführt wird. Das Ziel ist die Herstellung des inneren und äußeren Friedens. Wenn sich das Helfersystem darauf einlässt, ist der Weg bereits vorgegeben. Die Parteien werden kaum zur Kooperation in der Lage sein, wenn das Helfersystem zerstritten ist.

Um das alles zu ermöglichen, bedarf es der Aufklärung darüber, was die Mediation wirklich zu leisten im Stande ist. Dazu gehört auch die Aufklärung und die Auseinandersetzung mit der Ausbildung. Die klassische Ausbildung nach der Ausbildungsverordnung ist kaum in der Lage, die erforderliche Kompetenz zu vermitteln. Auch die Gesellschaft muss über sich nachdenken. Sie gibt der Rache und der Vergeltung den Vorrang vor der Auseinandersetzung, die unsere Gesellschaft so dringend benötigt. Sie sucht die Polarisierung statt die Balance. Das Denken der Mediation könnte auch insoweit zur Heilung führen, was zweifellos langfristig auch eine Auswirkung auf die Gewaltbereitschaft des Einzelnen hat.

5. Fazit

Die Antwort auf die Frage, warum die Mediation in hoch eskalierten Konflikten und bei Gewalt möglich ist, lautet, weil sie eine Art des Denkens ist, die es den Parteien erlaubt, sich mit dem Konflikt, nicht mit dem Problem und vor allem mit sich selber auseinanderzusetzen. Auch das Helfersystem muss sich damit auseinandersetzen. Gewalt hat viele Gesichter. Sie kann auch unsichtbar sein. Vor allem kann sie auch missbraucht werden. Der Mediator muss in der Lage sein, das Spiel zu durchschauen und die Hintergründe zu erkennen. Keinesfalls darf er es zulassen, dass er sich selbst vor einen Karren spannen lässt. Die Mediation kann mit solchen Fällen umgehen. Besonders, wenn sie sich mit anderen Dienstleistungen koordiniert. Wenn sie korrekt angewendet wird, würde sie in allen Fällen, wo es um die Suche nach einer Lösung geht, passende Ergebnisse erzielen. Sie benötigt keinen Zwang. Sie braucht lediglich ein anderes Denken, das ihr den Weg öffnet. Die Verantwortung dafür kann dem Mediator nicht alleine aufgebürdet werden.

Arthur Trossen


Bild von geralt auf Pixabay
Diskussion erwünscht. Entweder als Kommentar zu diesem Beitrag oder im Forum zu "Warum und wie funktioniert die Mediation bei hoch eskalierten Konflikten und bei Gewalt"

1 Siehe Heike Egner in Verstehenshindernisse
2 Es gibt Mediatorenverbände, die die Mediation in diesen Fällen ausdrücklich ausschließen. Siehe dazu auch Mediationsverfahren
4 Siehe Mediationsgesetz-Text. Dort unter §1 (Definition als Verfahren) und §2 Begriffsverwendung
7 Siehe Komplexität
10 So wird die Mediation auch beschrieben. Siehe Heinrichs (Was Journalismus von der Mediation lernen kann) - 2023-09-12
12 91% der Mediatoren arbeiten mit situationsbezogenen Abweichungen von der Schulmediation. Siehe Evaluierung-Mediationsgesetz unter "Praxis der Mediation".
13 Siehe z.B. Evaluierung-Mediationsgesetz und Rebooting Mediation oder weitere Forschungen unter Forschungsbeiträge
15 Erfahrungen aus der eigenen Praxis.
16 Siehe Migrationsstrategie oder NIMBY-Strategie als Beispiel
17 Deshalb sollte die Prüfung der Geeignetheit von der Mediationsbereitschaft unterschieden werden.
22 Der Wunsch Orangensaft zu trinken ist im Orangenbeispiel eine Lösung.
23 Siehe Systemik und Wesen
25 Eine Zusammenfassung finden Sie im Beitrag Mediationshindernisse und Lösungshindernisse
26 Siehe dazu auch Watzlawick "Wo das Denken Lösungen verhindert" unter Kreativität