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Grey Divorce und die Scheidung von Altehen

Wissensmanagement » Sie befinden sich auf einer Archivseite, die auch mit dem Anwendungsfeld Femillienmediaion in Verbindung steht. Es geht um das Phänoemen, dass alte Ehen immer öfter geschieden werden. Bitte beachten Sie auch:

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Abstract: Der Gedanke, dass sich ein Ehepaar trennt oder gar scheiden lässt, das es Jahrzehnte miteinander ausgehalten hat, ist kein naheliegender. Und trotzdem ist zu beobachten, dass die Zahl der Altehenscheidung zunimmt. Das Phänomen hat sogar einen Namen bekommen. Der deutsche Name graue Scheidung ist die Übersetzung von dem englischen Begriff gray divorce. Sie erfahren hier, warum dem Thema in einem Portal zur Mediation eine so große Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Einführung und Inhalt: Die graue Scheidung, auch bekannt als gray Divorce, bezeichnet keine Scheidung in einer Grauzone. Der Begriff meint die Trennung älterer Ehepaare im fortgeschrittenen Lebensalter. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Trend verstärkt, dass Altehen geschieden werden. Der Grund für diesen Trend kann auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Normen und der individuellen Erwartungen hindeuten.

Der neue Trend

Pühringer führt aus, dass in Österreich jede siebte Scheidung nach der silbernen Hochzeit stattfindet. In allen westlich geprägten Ländern zeige sich in den letzten Jahren ein Anstieg des Scheidungsalters. In Österreich würden 13,8 Prozent der Ehen nach mindestens 25-jähriger Ehezeit geschieden. 60% der Männer Die Statistik besage, dass die Scheidung von 60% der Männer und 40% der Frauen ausgeht.1 Es handelt sich keinesfalls um ein österreichisches Phänomen. Der Trend ist auch international in der westlichen Welt zu beobachten.2 Laut dem statistischen Bundesamt in Deutschland sank die Scheidungsquote bis 2018 stetig. Sie stieg jedoch danach wieder an und lag zuletzt bei rund 39,9 Prozent. Viele Paare trennten sich im Jahr 2022 mit einer Ehedauer von fünf bis sieben Jahren. Die meisten Ehen in Deutschland werden aber nach einer Ehedauer von 26 Jahren und mehr aufgelöst.3 Was steckt hinter dem Phänomen?

Die möglichen Scheidungsgründe

Das Phänomen der grauen Scheidung ist wohl das Ergebnis aus einer Kombination von sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren. Längere Lebenserwartungen, verbesserte finanzielle Unabhängigkeit der Frauen und veränderte Vorstellungen von persönlichem Glück und Selbstverwirklichung sind einige der Hauptgründe für das gestiegene Scheidungsrisiko im Alter. Oftmals treten auch ungelöste Konflikte, die im Laufe der Jahre angesammelt wurden, im späten Lebensabschnitt verstärkt auf oder ist es gar ein dritter Frühling?

Beispiel 15947 - In der Mediation erscheinen zwei Eheleute, der Mann ist 74 Jahre alt, die Frau ist 70 Jahre alt. 3 Wochen vor dem Mediationstermin hat der Mann nach einer 40-jährigen Ehezeit seiner Frau offenbart, dass er sich scheiden lassen wolle. Als Grund gab er an, dass er seine Jugendliebe getroffen habe und er wie auch die Jugendliebe entdeckten, dass Ihre Liebe nicht vollständig erloschen war. Irgendwelche Vorwürfe gegen seine Frau, aus denen sich ein Scheidungsgrund herleiten ließe, hatter er nicht. Die Ehefrau konnte damit gar nicht umgehen. Sie stimmte der Scheidung notgedrungen zu, wenn der Mann sich auf einen Versöhnungsversuch einlässt. Sie kämpfte um den Erhalt der Beziehung und sah darin ihre letzte Chance.


Das Beispiel spricht dafür, dass sich der Stellenwert einer Ehe auch in der Boomer-Generation verändert hat. Es gibt aber auch andere Beispiele, wo sich Eheleute beispielsweise bei der dauerhaften Erkrankung eines Partners liebevoll und aufopfernd umeinander kümmern. Fest steht, dass sich die Beziehung im Laufe einer Ehe ändert. Eigentlich festigt jede überwundene Krise die Beziehung. Die Akzeptanz des anderen Ehegatten wird gesteigert. Dafür spricht die Forschung zum Streitverhalten in Ehen. Rauer, Sabey, Proulx und Volling haben herausgearbeitet, dass alte Ehepaare vornehmlich über lösbare Probleme des Alltags streiten, während junge Ehepaare eher über schwer lösbare ethische und soziale Fragen streiten, die die Beziehung in Frage stellen.4 In gewisser Weise ist es bedauerlich, wenn Eheleute den Wert einer alten Beziehung gar nicht kennenlernen können, weil sie zu früh das Handtuch werfen. Andererseits müssen sich Beziehungen den veränderten Lebensverhältnissen anpassen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Lebensverhältnisse ändern, ist in einer alten Beziehung größer als in einer kurzen Ehe. Dass die gegenseitige Abhängigkeit von Familienmitgliedern in der Form von verbundenen Leben und der Zeitpunkt von Lebensübergängen eine wichtige Rolle bei der Scheidung von Altehen spielen, belegt die Forschung.5

Was eine Scheidung im Alter begünstigt, ist die gesteigerte finanzielle Unabhängigkeit, das soziale Netz, das den Verlust des Partners auffangen kann und die gesteigerte Akzeptanz der Scheidung in der Gesellschaft.6 Wo diese Voraussetzungen fehlen, die Scheidung also in die Armut führt oder in die Einsamkeit, wird der Scheidungskampf im Vergleich zu jüngeren Ehen umso größer, weil bedingt durch die Alterskrise die Chancen zur Verbesserung der persönlichen Sitation der Ehegatten geringer ausfallen.

Die Herausforderungen bei grauen Scheidungen

Die Trennung und die Scheidung im Alter begegnet in Wesentlichen den gleichen Themen und ähnlichen Problemstellungen wie die Scheidung einer jungen Ehe. Es werden die gleichen Konfliktdimensionen angesprochen.mitunter auch die gleichen Themen. Trotzdem gibt es spezifische Herausforderungen mit denen die graue Scheidung zurechtkommen muss.

Beziehungsintensität
Die Eheleute haben eine lange Lebenszeit miteinander verbracht, die, je nach Gestaltung der Ehe, individuelle Anpassungen und Veränderungen herbeigeführt hat. Die Paaridentität könnte sich besonders stark ausgeprägt haben, was die psychologische Scheidung erschwert. Ob die Eheleute es wollen oder nicht, der andere Ehegatte ist ein Teil des eigenen Lebens geworden. Das kann man nicht einfach zurücklassen und auch immer leicht über Bord werfen. Die graue Scheidung sollte also in jedem Fall auf den Zustand der Beziehung eingehen und den Lösungsprozess hinterfragen.
Einfluss der Kinder
Die Kinder sind meist erwachsen und versorgt. Das bedeutet nicht, dass sie sich nicht einmischen. Meist haben sie Erwartungen an die Eltern. Es kommt sogar vor, dass sie die Eltern in eine Mediation zwingen und dafür die Kosten übermehmen. In der Regel geraten die Kinder nicht in eine Opferrolle. Sie können aber in eine Parteirolle gedrängt werden, wenn die Scheidung der Eltern zu Versorgungsengpässen führt. Wenn die Eltern verarmen, kommt eine Unterhaltspflicht der Kinder in Betracht.
Finanzielle Aspekte
Im Mittelpunkt der finanziellen Fragen steht der Versorgungsausgleich bzw. der damit einhergehende Unterhalt. Hier kann es zu ungewollten Engpässen kommen. Wenn ein Ehegatte bereits in Rente ist, würde der Versorgungsausgleich bei ihm sofort zu einer Verringerung der Rente führen. Die Aufstockung der Rente beim anderen Ehegatten tritt möglicherweise und wenn er noch nicht das Rentenalter erreicht hat, erst dann in Kraft, wenn er auch in Rente fällt. Die Alterslage könnte also dazu führen, dass der verrentete Ehegatte durch den Versorgungsausgleich leistungsunfähig wird, während der noch nicht verrentete Ehegatte bedürftig bleibt, weil er noch nicht auf die Altersversorgung zugreifen kann. Das Gesetz bietet für diesen Fall in §33 VersAusglG (Versorgungsausgleichgesetz) eine Lösung an, indem die Kürzung der Rente bei Unterhaltspflicht auf Antrag ausgesetzt werden kann.
Gesundheitliche Aspekte
Die medizinische Versorgungslage kann. nicht nur zu einer gesteigerten finanziellen Bedürftigkeit führen. Sie kann auch Abhängigkeiten begründen, die meist nur im familiären Kontext zu lösen sind. Hier kann es zu Verschiebungen kommen, wenn ein Ehegatte ausfällt. Die graue Scheidung kann zu einer sozialen Isolation, zum Verlust von Familienunterstützung und zu psychische Belastungen führen, wenn die Ehegatten plötzlich auf sich selbst gestellt sind. Besonders gravierend wirkt es sich aus, wenn sich ein Ehegatte über Jahre nicht um bestimmte Angelegenheiten (wie etwa die Finanzen) gekümmert hat und plötzlich noch im Alter lernen muss, damit umzugehen. Es kann sich eine gesteigerte Hilflosigkeit herausstellen, die nur bedingt zu kompensieren ist.
Neue Lebenspartner
Nicht immer ist ein neuer Lebenspartner der Scheidungsgrund. Manchmal wollen die Ehegatten sich scheiden lassen, weil sie sich einfach auseinandergelebt haben. In dem Fall ist zu prüfen, ob die formale Aufrechterhaltung der Ehe für die Eheleute wirtschaftlöich und sozial betrachtet bessere Chancen bietet. Jetzt erleichtert das Alter die Lebensplanung, weil die Wahrscheinlichkeit einer neuen Ehe besser eingeschätzt werden kann.
Vermögensfragen
Die Auseinandersetzung über das Vermögen kann sich altersbedingt als eine weitere Herausforderung darstellen. Oft kommt nur noch eine Zerschlagung des Vermögens in Betracht. Die Möglichkeit, etwa den Miteigentumsanteil des anderen Ehegatten zu übernehmen könnte an der altersbedingten Einschränkung der Kreditwürdigkleit scheitern.

Auswirkungen auf die Betroffenen

Im Ergebnis ist festzustellen, dass graue Scheidungen tiefgreifende Auswirkungen auf die betroffenen Personen haben können. Emotionale Turbulenzen, Einsamkeit und das Gefühl des Verlusts sind häufige Begleiterscheinungen. Die Notwendigkeit, soziale Netzwerke neu aufzubauen und eine eigene Identität außerhalb der Ehe zu finden, fällt schwerer als bei jungen Ehen. Trotz des Alters können auch Kinder noch von den Veränderungen betroffen sein, insbesondere wenn sie bereits erwachsen sind und die Scheidung überraschend kommt. Die Herausforderungen sind an die Lebenssituation gebunden und von der Art und Weise geprägt, wie sich die Beziehung der Eheleute gestaltet hat. Abgesehen von einigen alterstypischen Besonderheiten, ist die Scheidung aber kaum von den Scheidung junger Ehen zu unterscheiden. Auch dort gibt es Abhängigkeiten, Lebensumstände und Wertvorstellungen, die eine Scheidung verkomplizieren. Umgekehrt gibt es auch bei Altehen Lebensumstände, die die Scheidung erleichtern. Die Erfahrung im Umgang mit grauen Scheidungen rechtfertigt nicht die Annahme, dass sie automatisch hoch eskaliert oder schwierig sein müssen.

Bewältigung und Unterstützung

Die Bewältigung einer grauen Scheidung erfordert Unterstützung sowohl von Freunden als auch von Fachleuten. Therapeutische Hilfe kann dazu beitragen, die emotionalen Auswirkungen zu bewältigen, während finanzielle Berater bei der Aufteilung von Vermögenswerten und finanziellen Angelegenheiten helfen können. Die Schaffung neuer sozialer Bindungen und Aktivitäten, die das persönliche Wachstum fördern, sind ebenfalls wichtige Schritte, um das Leben nach einer Trennung im Alter neu zu gestalten. Anderseits gibt es auch Fälle, wo die Ehleute zwar ihrer getrennten Weg gehen, aber formal verheiratet bleiben und in gewisser Weise sogar noch für einander sorgen.

Bedeutung für die Mediation

Die Klärung der Beziehung der Eheleute zueinander ist bei grauen Scheidungen mindestens genauso wichtig wie bei anderen Scheidungen auch. In Anbetracht der Lebensverbindung könnte die Beziehung jedoch einen anderen Stellenwert haben, was ebenfalls zu berücksichtigen ist. Der Blick auf die Zukuinft und die damit verknüpften Erwartungen spielt möglicherweise eine größere Rolle als bei Jungehen und Scheidungen im jungen Alter. Der Mediator wird gefordert, weil er auf alkle Aspekte des Konfliktes eingehen können muss.

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen.
Bearbeitungsstand: 2023-10-27 11:50 / Version 26.

Aliase: graue Scheidung, grey divorce, gray divorce
Siehe auch: Scheidung
Prüfvermerk: -


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