In der Mediation wird ebenfalls von der konfrontativen Perspektive in eine Betrachtungsweise gewechselt, in der die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt sein sollen. Es gibt noch mehr Ähnlichkeiten zwischen beiden Methoden zur Konfliktlösung: Von tatsächlichen Techniken bis hin zur Haltung von Mediator und Aikidoka.

Was ist Aikido?

Das Wort Aikido setzt sich aus den drei Schriftzeichen Ai für Harmonie, Ki für Lebensenergie oder universelle Energie und Do für den Weg zusammen. Man könnte es also als „Weg der Harmonisierung von oder mit Energie“ übersetzen.

Charakteristisch für Aikido sind besonders die folgenden Punkte:

  1. Es gibt keinen Angriff im Aikido. Aikido ist eine reine „Verteidigungskunst“. Die Zielsetzung ist stets, dass niemand ernsthafte Verletzungen davonträgt – weder der Verteidiger noch der Angreifer. Das gilt unabhängig davon, was ursprünglich den Angriff ausgelöst hat, also selbst im Fall unprovozierter Aggression.
  2. Viel Aufmerksamkeit im Training liegt auf dem Zentrum (japanisch Hara), das als Quelle des Ki, oder der inneren Energie angesehen wird. Hierbei kommen insbesondere Atemtechniken zum Einsatz.
  3. Gut sichtbar sind die typischen kreis- oder spiralförmigen Bewegungen, in denen die Angriffsenergie vom Verteidiger weitergeführt wird und die Situation mit einem Wurf oder einer Hebeltechnik zu einem sicheren Abschluss gebracht werden kann.

Gerade für den westlich geprägten Menschen ist dabei die Untrennbarkeit von mind und body zunächst ungewohnt. Im Aikido geht es aber gerade darum, diesen (scheinbaren) Unterschied loszuwerden. Entsprechend wird es auch als „Discipline of Coordination“ bezeichnet.

Aikido stellt einen Übungsweg dar, bei dem es um den Umgang mit der Konflikt-Energie eines Angreifers und der Schulung der eigenen Reaktion auf allen Ebenen geht.

Ziel ist es, dass niemand zu Schaden gekommen ist, weder körperlich noch mental. Das schließt einen „Sieg“ aus, weil die Niederlage des Angreifers zu dessen Schaden ist. Es geht um die Entwicklung einer Persönlichkeit, sodass sich der Weg einer Niederlagen-freien Lösung für Angreifer und Verteidiger öffnet. Der Begründer des Aikido Morihei Ueshiba würde das als „Harmonie mit der Energie des Universums“ bezeichnen – eben Ai-Ki.

Vergleich der Zielsetzungen

Die Mediation tritt je nach Schwerpunkt an, um

  1. Konflikte zu lösen, d.h. eine Lösung für eine konfliktäre Situation zu erarbeiten, die den Interessen aller Parteien gerecht wird.
  2. Menschen zu versöhnen, d.h. die Beziehung der Streitparteien zu verbessern, z.B. indem die Sichtweise der Gegenpartei vermittelt wird.
  3. Konfliktlösungs-Kompetenz und Eigenverantwortung zu stärken.
  4. Den Konfliktparteien dazu zu verhelfen, wieder sie selbst sein zu können (Stichwort Transformative Mediation über Verbesserung der eigenen Stärke oder Autonomie sowie der Wahrnehmung der anderen („responsiveness“) durch „empowerment“ und „recognition“.
  5. Die Gesellschaft dahingehen zu transformieren, dass ein höheres Maß an konsensualer Konfliktlösungskompetenz vorliegt.

Im Aikido sind im Wesentlichen die gleichen Zielsetzungen zu finden, wenngleich die betrachteten Konfliktsituationen unterschiedlich sind. In der Mediation betrachtet man eher „festgefahrene“ Situationen, im Aikido einen physischen Angriff. In Analogie zu den oben für die Mediation aufgeführten Zielsetzungen, findet man im Aikido

  1. das Ziel, die physische Auseinandersetzung ohne Verletzung für alle Parteien zu beenden.
  2. eine Verbesserung der Beziehung zwischen Angreifer und Verteidiger, indem der Angreifer möglichst schonend behandelt wird und der Verteidiger lernt, einem Angriff nicht mit Rachegedanken oder Eskalation zu begegnen.
  3. ganz wesentlich das Konzept der Eigenverantwortung und im Aikido-Training, aber auch im Erleben einer Aikido-Bewegung als Angreifer, die Zielsetzung der Verbesserung der Konfliktlösungs-Kompetenz.
  4. die Auflösung des aggressiven Potenzials als Ziel. Der Angriff wird im Aikido als Verlust der inneren Balance interpretiert. Das vorübergehende „Leihen“ des eigenen Zentrums gibt dem Angreifer die Möglichkeit, wieder zu sich selbst zurück zu finden.
  5. eine Gesellschaft, in der alle Personen Aikido üben, würde sich wohl ebenfalls in der Tat hin zu mehr Konsens-Suche wandeln…

Daraus folgt:

Die Zielsetzungen von Mediation und Aikido sind im Wesentlichen identisch und unterscheiden sich hauptsächlich in den typischen Konflikt-Szenarien.

Vergleich der Prinzipien von Aikido und Mediation

Dieser Vergleich erfolgt an Hand der grundlegenden Prinzipien der Mediation:

  • Die Eigenverantwortung ist sowohl in der Mediation als auch im Aikido absolut essentiell und grundlegend.
  • Die Freiwilligkeit ist im Aikido eher im Begriff der Zustimmung des Angreifers zu sehen, die dem Ansatz der Bereitschaft ähnlich ist. Der Angreifer wird vom Aikidoka „eingeladen“ auf eine gemeinsame deeskalierende Bewegungsbahn, bei der die Aggression sinkt und eher positive Verwunderung entstehen soll. Die Bereitschaft des Angreifers zur Teilnahme wird rückwirkend durch seine Zustimmung erzeugt (Idealbild).
  • Die Allparteilichkeit wird im Aikido dadurch sichtbar, dass der Angreifer ohne physischen Schaden, ohne Gesichtsverlust und mit der Möglichkeit des „Neu nachdenken Könnens“ aus der Situation herauskommen soll. Das entspricht dem Idealbild, das ggf. in einer Verteidigungssituation nicht perfekt erreicht wird, damit passend zur Allparteilichkeit des Mediators, die als Idealbild angestrebt, aber ebenfalls an sich unerreichbar ist.
  • Die Vertraulichkeit im Aikido ist auf den gegenseitigen Respekt und die Zielsetzung zurückführbar, einen Angreifer nicht bloßzustellen. Mit persönlichen oder potenziell schädlichen Informationen ist im Sinne der Budo Ethik sehr vertrauensvoll (und damit vertraulich) umzugehen. Allerdings gibt es kein gesetzlich geschütztes Aussageverweigerungsrecht.
  • Die Informiertheit ist für die eher kurzfristigen im Aikido behandelten Situationen nicht dadurch erreichbar, dass man vor Beginn einer Selbstverteidigungshandlung noch kurz ein aufklärendes Gespräch führt. Das Aikido-Konzept makoto – grob assoziierbar mit der Forderung nach offenem und authentischen Verhalten – stellt eine gute Parallele zum Prinzip der Informiertheit dar, als es den Aikidoka dazu bringt, aufrichtig und ohne Arglist und Täuschung mit seinen Mitmenschen umzugehen.

Diese fünf Prinzipien sind die meistgenannten im Umfeld der Mediation. Obwohl die Parallelen schon offensichtlich sind, werden auch noch weitere Grundsätze der Mediation diskutiert:

  • Die Ergebnisoffenheit zeigt sich im Aikido besonders durch den Ideal-Zustand der Absichtslosigkeit, in dem die Bewegungen nicht bewusst-kognitiv, sondern der Situation angemessen unterbewusst-intuitiv ausgeführt werden. Die kognitive Steuerungsebene zieht sich auf die Intentions-Ebene zurück, die auf die Kriterien von Handlung und Ergebnis fokussiert und nicht auf die tatsächliche Auswahl einzelner Handlungen.
  • Die Optionalität findet man im Aikido u.a. durch die starke Anpassung an den jeweiligen Angriff.
  • Die Zukunftsorientierung drückt sich im Aikido eher als ein Fokus auf den Moment aus, das heißt über eine Nichtbeachtung der Vergangenheit. Dazu kommt dann die Fragestellung, was man grundsätzlich erreichen möchte, ohne seine Absichtslosigkeit zu verlieren.
  • Die Ressourcenorientierung der Mediation findet ihr Äquivalent im Konzept No-Sword.
  • Respekt und Wertschätzung sind in beiden Fällen Grundlagen im Menschenbild.
  • Die Regeln des Umgangs miteinander werden in beiden Fällen nicht extern vorgegeben.
  • Authentizität ist sowohl für den Mediator als auch den Aikidoka wichtig.

Zusammengefasst lässt sich sagen:

Es gibt es eine sehr große Überschneidung in den Prinzipien von Mediation und Aikido.

Die Unterschiede folgen hauptsächlich – wie schon oben bemerkt – aus den Differenzen der jeweiligen Situationen beziehungsweise dem jeweils behandelten Konfliktbegriff.

Vergleich der Vorgehensweisen

Eine der zentralen Grundlagen der Mediation beruht auf dem Vertrauen zwischen Medianden und Mediator, der mediativen Allianz. Ein eingesetzter Mechanismus besteht im Synchronisieren durch den Mediator. Im Aikido wird die Konfliktenergie des Angreifers dazu genutzt, um eine enge und stabile Verbindung zwischen den beiden Partnern herzustellen (Fachbegriff: „Ki Musubi“). Über diese Verbindung entsteht aus Angreifer und Verteidiger ein Gesamtsystem, das dann durch den Verteidiger beeinflusst werden kann.

Mediative Allianz entspricht „Ki Musubi“.


Eng verwandt und eigentlich nicht ganz davon zu lösen ist das Einnehmen der Perspektive des Anderen. Der Mediator erreicht das durch Verstehen wollen und vertieft es durch Rückfragen. Insbesondere durch das Zusammenfassen und Spiegeln erhält der Mediand die Rückmeldung, dass seine Sichtweise angekommen ist und dass seine Perspektiven und er als Person akzeptiert und nicht bewertet werden.

Der Aikidoka macht letztendlich genau das Gleiche, aber auf physischer Ebene und ohne Worte. Das Einnehmen der Perspektive des Angreifers unter Beibehaltung der eigenen Aufrichtigkeit wird durch ein Eintreten oder Eindrehen in die Gesamtbewegung erreicht. Man spricht auch vom „Verschmelzen“ oder „Blending“.

Perspektive des Medianden einnehmen entspricht „Blending“.


Eine wesentliche Grundlage jeweils ist das Akzeptieren. In der Mediation wird betont, dass die Medianden möglichst nicht bewertet werden. Im Aikido wird gelehrt, dass der Angriff, die Situation und die Randbedingungen zu akzeptieren eine notwendige Grundlage sind. Auch hier ist das Nicht-Bewerten insbesondere im Sinne eines „Nicht-Verdammens“ Grundlage dafür, eine nicht-konfrontative Lösung anzustreben.

Akzeptieren ist in beiden Fällen zentral.


Hat der Mediator die Position des Medianden eingenommen, kann er mit ihm gemeinsam erarbeiten, was die Folgen sind, wenn man den Vorschlag hinter der Position zu Ende denkt (Mäeutik). Typischerweise kommt dabei heraus, dass nicht alle Interessen befriedigt sind – die der Gegenseite nicht, aber auch die des Medianden nicht. Das geschieht z.B. dann, wenn der Mediand sich über seine Interessen und Bedürfnisse beim Aufstellen der Position gar nicht klar gewesen ist.
Das Konzept von Leading Control ist das passende Aikido-Äquivalent. Aus der Position des Angreifers – dem Angriff – heraus wird die Angriffs-Energie aufgenommen und weitergeleitet und diese Position als Lösungsvorschlag für die Situation ad absurdum geführt. Der Angreifer findet sich auf dem Boden liegend wieder, er hat seine Position losgelassen. Durch die Verwendung von Kreis- und Spiralbahnen (physische Ebene und Energie-Ebene) und das Konzept der Widerstandslosigkeit wird die Aggression reduziert, da keine Konfrontation entsteht.

Mäeutik entspricht Leading Control.


Leading Control und Mäeutik beginnen schon beim Synchronisieren. Im Doing sind die Punkte Synchronisieren (Ki Musubi), Blending und Leading Control nicht wirklich voneinander zu trennen.

Der Mediand oder Angreifer bringt die Konflikt-Energie in das System ein. Der Mediator oder Verteidiger verwendet diese dem Konflikt innewohnende Energie, um die jeweilige Verbindung zu schaffen. Auf deren Basis hilft er dem Gegenpart, sich auf eine neue Perspektive und Bahn zu begeben, die dessen jeweiligen Bedürfnissen auch näherliegen (Stichwort Selbsterkenntnis).

Vergleich der Abläufe / Prozesse

Die folgende Gegenüberstellung orientiert sich an einem 5-Phasen-Modell der Mediation.

  1. Einleitungs-Phase: Die Wahrnehmung des bevorstehenden Angriffs zusammen mit dem Setting entspricht der Einleitungsphase. Wie viele Personen sind beteiligt? Wie ist die Umgebung? Welche Waffen sind im Spiel? Wie scheint die Intensität?
  2. Themen-Sammlung: Der Beginn des eigentlichen Angriffs entspricht dem Moment, in dem der Angreifer sein zentrales Thema nennt. Der Aikidoka verlässt die Angriffslinie und stellt den Kontakt her. Der Übergang in die Interessen-Findungsphase ist auf der Straße sicherlich – und hoffentlich – fließend.
  3. Interessen-Findung: Die Verbindung wird intensiviert, möglichst bis der Angreifer sie nicht mehr trennen kann (Ki musubi). Der Moment, in dem das Gleichgewicht des Angreifers verloren geht (Ku-zushi), entspricht der Aufgabe der initialen Position. Die Bewegung läuft auch danach weiter. Angreifer und Verteidiger befinden sich jetzt auf einem Weg um ein gemeinsames Zentrum.
  4. Lösungs-Findung: Wie die Bewegung abgeschlossen wird, hängt davon ab, welche Impulse von Seiten des Angreifers kommen und in welchem Stadium der Entwicklung der Verteidiger ist. Klar ist, dass eine deeskalierende Lösung entsteht.
  5. Abschluss-Vereinbarung:Sobald diese Lösung entstanden ist, wird sie in Form einer Aikido-Technik (Waza) auch für Außenstehende sichtbar. In der Abschluss-Position nach einem Wurf oder in einem Hebel kann der Angreifer sich die Situation nochmals vor Augen führen und es kommt zu der schon oben diskutierten nachträglichen Zustimmung.


Dieser Vergleich geht insbesondere von einer idealen Aikido-Antwort auf die Angriffs-Situation aus, in der alles bestens funktioniert. Auf der anderen Seite wird auch ein idealisierter Mediationsablauf betrachtet.
Die Abläufe passen nicht ganz aufeinander, das Ziehen der Parallelen ist aber durchaus berechtigt. Nicht zuletzt, weil ein großer Teil des Unterschieds aus den verschiedenen behandelten Konfliktarten herrührt, beispielsweise der zeitliche Gesamtrahmen.

Es gibt auch bei den Abläufen klare Parallelen zwischen der Mediation und dem Aikido.

Vergleich der Haltung

Der Mediator steht mit seiner Haltung für die Mediation an sich. Er verkörpert die Prinzipien, Möglichkeiten und zu Grunde liegenden Werte. Dafür sind seine Authentizität, seine Präsenz und sein Ethos in ihrer Wichtigkeit nicht überzubetonen.
Im Aikido stehen ebenfalls die Präsenz und die Haltung in der Wichtigkeit ganz oben. Nicht dass man mit dem Aikido Lernen jemals fertig sein könnte, aber im Idealbild erreicht man eine Präsenz, so dass die Sinnlosigkeit eines Angriffs durch die bloße Anwesenheit des Aikidoka erkannt wird. In der Interpretation des Angriffs als Austragen eines Konflikts oder Einnehmen einer nicht-konsensualen Position wird deren Sinnlosigkeit ebenfalls durch diese Präsenz evident. Damit steht die Haltung des Aikidoka für das Erreichen und Erzeugen von harmonischen Lösungen.
Die geforderte Authentizität des Mediators sowie das makoto-Konzept im Aikido sind einander eng verwandt. Da aber – wie oben ausgeführt – die Prinzipien und Zielsetzungen von Mediation und Aikido starke Parallelen zeigen und die Haltungen von Mediator und Aikidoka jeweils dafür stehen, müssen auch die Haltungen der beiden analog sein:

Die Haltungen von Mediator und Aikido sind analog.

Damit einher geht die Ähnlichkeit, dass die Haltung zu entwickeln mit zum Schwierigsten gehört, was Mediator und Aikidoka vor sich haben und dies entsprechend auch am längsten dauert.

Übertrag vom Aikido in die Mediation

Nachdem im ersten Teil dieses Artikels dargelegt worden ist, dass Mediation und Aikido in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich sind, geht es im Folgenden um die Möglichkeiten des Übertrags, also die Frage, inwiefern das Aikido dem Mediator und der Mediation helfen kann. Aikido ist ein Übungsweg, bei dem man sich bewegt - typischerweise in Partnerübungen mit Körperkontakt. Die ursprünglich für Kampfsituationen ausgerichteten Aikido-Bewegungen werden für die Übertragsarbeit in die Mediation passend ausgewählt und adaptiert. Am besten erlernt man die passenden Übungen durch Vormachen, Ansehen, Nachmachen und Hilfskorrekturen Erhalten. Daher werden hier keine Übungsformen besprochen, sondern die Zielsetzungen des Übertrags besprochen - dem interessierten Leser sind die passenden Seminare ans Herz gelegt.

Ruhe, Entspannung und Fokus

Es ist essentiell, dass der Mediator die Ruhe bewahrt und sich nicht in einen Streit mit hineinziehen lässt, also auch auf keine an ihn gerichteten Provokationen mit Eskalation reagiert.
Hier lassen sich einfache Techniken aus dem Aikido einsetzen. Wenn der Mediator im Vorfeld gelernt hat, über die Steuerung seiner Körperwahrnehmung seine Aufmerksamkeit in seine eigene Mitte zu lenken, dann hilft das in stressigen Momenten, die eigene innere Balance zu halten und wiederherzustellen. Aus der Sicht des Aikido sind die Begriffe „zentriert“ und „entspannt“ eng miteinander verknüpft.

Dem Mediator kann das zugänglich gemacht werden, indem in einfachen Übungen die Stabilität im Stand getestet wird, einmal im "angespannten" und einmal im "entspannten" Zustand, einmal mit seiner Aufmerksamkeit "gegen" den Test und einmal "auf sein Zentrum". So kann er erfahren, dass Aufmerksamkeit in der Mitte die eigene Stabilität erhöht. Mit der Übung, die als "unbeugsamer Arm" in der Literatur zu finden ist, kann man erfahren, dass eine kontrollierte Entspanntheit vom Ergebnis einer starken Anspannung überlegen ist.

Sehr hilfreich ist auch die Kenntnis von Atemtechniken. Diese können beispielsweise das Fokussieren von Aufmerksamkeit unterstützen und verspannte Stellen im Körper lösen, sodass der Mediator wieder in entspanntem Zustand agieren kann.

Als Übung bietet sich ein Ritual mit drei tiefen Atemzügen an, bei denen jeweils ein unterschiedliches Bild eingesetzt wird. Im ersten Atemzug lockert man ganz bewusst Schultern und Nackenbereich. Im zweiten Atemzug fokussiert man sich möglichst maximal auf das eigene Zentrum. Beim dritten Atemzug achtet man auf die eigene aufrechte Haltung und stellt Kopf und Wirbelsäule gerade auf das Becken. Am Ende des dritten Atemzugs schließt man die Übung mit einem Lächeln.

Mit dieser Übung kann man erfahren, dass Atmung auch sehr kurzfristig zu Entspannung und damit zur Rückkehr von Handlungsfähigkeiten führen kann. Diese Übung kann vom Mediator nach seinen eigenen Wünschen umgestalten.

Es gibt in diesem Kontext weitere interessante Übungen, beispielsweise wie viel leichter man sein Handgelenk aus einem Griff befreien kann, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht an die gegriffene Stelle, sondern an einen anderen Ort lenkt. Das ist aber wirklich schwierig zu beschreiben und sollte mit einem erfahrenen Aikidoka geübt und erlebt werden. Insbesondere wenn es einem selbst nicht sofort gelingt, diesen Unterschied selbst hinzubekommen, dann kann es erhellend sein, das als festhaltender Partner zu erleben.
Das Arbeiten mit der Aufmerksamkeit wird als „attention based aikido“ bezeichnet. Als mnemonischen Merkspruch könnte man sich behalten:

Energy follows attention: Die Energie folgt der Aufmerksamkeit

Damit soll zusammengefasst werden, dass der Übertrag von Stabilität, Ruhe, Entspanntheit und dem Umgang mit der Fokussierung der eigenen Aufmerksamkeit vom Aikido-Ansatz in die Mediation sehr hilfreich ist.

Einnehmen der Perspektive, Connection und Extension


Nach den Übertragsmöglichkeiten mit relativ wenig Bewegung, also statischem Ansatz, wird jetzt der etwas dynamischere Anteil betrachtet. Es geht darum, das Synchronisieren, Verbindung aufnehmen und die Perspektive des Gegenübers Einnehmen zu erleben. Weiterhin gilt, das mit einem erfahrenen Aikidoka zu versuchen.
Die zentrale Übung beginnt mit zwei voreinander stehenden Partnern. Beide heben die rechte Hand etwa auf Brusthöhe und legen die Handflächen aufeinander. Durch unterschiedlich starken Druck können sie so „konfliktäres Verhalten“ (Drücken), „Flucht-Verhalten“ (Zurückweichen) und ggf. „Starre“ (eingefrorener Angstzustand) simulieren und erleben. Das kann als Grundlage versucht werden.
Die eigentliche Bewegung geht dann so, dass der Verteidiger auf die rechte Seite des Angreifers tritt und sich so dreht, dass beide Partner jetzt in die gleiche Richtung blicken. Das ist in mehrerlei Hinsicht interessant:

  • Der Angreifer verliert den Verteidiger aus dem Blickfeld. Das reduziert die Konfrontations-Intensität der Situation
  • Der Verteidiger sieht, was die Perspektive des Verteidigers ist. Und das, ohne sich dabei verbiegen zu müssen, unterwerfen zu müssen, oder zu kämpfen.
  • Das nächste Ziel besteht dann darin zu spüren, wie man es anstellen muss, um auf diese Art eine Verbindung zum Partner herzustellen. Das Ziel ist zu spüren, wie die beiden vorher konfligierenden Kräfte jetzt helfen, dass eine Einheit entsteht.
  • Dann kann man erspüren, wie das Gleichgewicht des Angreifers verloren geht, wenn der weiter im konfrontativen Modus verharrt.

Die letzten beiden Punkte werden am Besten wieder direkt von einem entsprechend ausgebildeteten Seminarleiter übermittelt.
Mit dieser Übung kann man zentrale Aspekte von konsensualer Konfliktlösung kinästhetisch erlebbar machen.

Haltung und Intentions-Arbeit

Einer der wesentlichen Überträge liegt sicherlich im Thema der Haltung begründet. Hier bleibt aber die alte Tatsache bestehen, dass Haltung nicht übers Wochenende erzeugt werden kann, sondern einem längeren Entwicklungsprozess folgt.
Die Auseinandersetzung mit dem Aikido kann auf vielen Ebenen dazu beitragen, dass die mediative Haltung verstärkt wird, über das Üben an und mit sich, über die Auseinandersetzung mit den Parallelen oder das beständige Wiederholen von kooperativen Abläufen.
An dieser Stelle sei noch eine weitere Erlebnis-Möglichkeit explizit genannt, die jebenfalls eine gewisse Erfahrung im Aikido zur Demonstration benötigt. Es wird dabei eine Situation erzeugt, in der ein Partner eine gewisse Kontrolle über den anderen Partner erhält (ausgewählte Aikido-Technik). Der kontrollierte Partner kann dann spüren, dass sich diese Kontrolle verstärkt, wenn man dagegen ankämpft oder wegziehen möchte.

Wenn aber der Aikidoka seine innere Einstellung dem Partner gegenüber in ein starkes Wohlwollen und einen Schutzgedanken verändert, so ähnlich wie sich der Rettungsschwimmer dem Ertrinkenden gegenüber fühlt, der in seiner Panik nach ihm tritt und schlägt, dann löst sich die Kontrolle plötzlich auf und der Partner kann spüren, wie der Aikidoka seine Handlungsfreiheit zurückbekommt.
Diese Übung ist auf der Ebene der absichtslosen Intention angesiedelt.
Mit diesem Ansatz wird den oben genannten Mustern von fight, flight, freeze noch ein weiteres Muster gleichgestellt: die Life Guard Matrix. Sie korrespondiert mit dem Beschützerinstinkt der Eltern und ist ein sehr grundlegend im Menschen angelegtes Muster.
Die Arbeit mit der Intention ist eng mit der Haltung verwand. Als Merksatz wird angeboten:

Die Intention beeinflusst das Ergebnis und das Erlebnis.

Aikido in der Mediation selbst

Die bisher erwähnten Übungsformen für Mediatoren sind größtenteils nicht direkt für den Einsatz innerhalb einer Mediations-Sitzung geeignet. Die Gefahr besteht, dass das so weit von den zu mediierenden Themen entfernt ist, dass es zu einer Reduktion des Vertrauens in den Mediator führt.
Anders sieht das in Einzelgesprächen aus. Hier können gerade solche Übungen und auch Atemtechniken durchaus eingesetzt werden. Die Zielsetzung bestünde darin, dass dem Medianden durch das Erleben klar wird, auch in der Mediation am besten voranzukommen, wenn er nicht auf Konfrontations-Kurs geht. Ruhig und mit Fokus auf seine eigene Mitte und seine eigenen Bedürfnisse handeln zu können, wird dann zur Grundlage einer konstruktiven und zügigen Mediation.
Wenn im jeweiligen Einzelgespräch die Übungen gut angekommen sind, kann man sie danach auch gemeinsam als Ritual in der Mediation durchführen, um eine Synchronisierung zwischen den Medianden zu erreichen. Dazu bieten sich Atemtechniken und Konzentrationsübungen an, evtl. eine gemeinsame Meditation. Das ist aber sehr stark von der Person des Mediators abhängig und sollte daher individuell ausgeprägt werden.
Entsprechend gilt:

Der Übertrag vom Aikido in die Mediations-Sitzungen selbst erfolgt vor allem über die vertiefte und verstärkte Haltung des Mediators.

Kernaussagen

Zusammenfassend lassen sich die folgenden Aussagen als Resümee auflisten

Merke:1
  1. Aikido und Mediation haben starke Parallelen in Zielsetzung, Prinzipien, Vorgehensweise und der Haltung des Aktiven
  2. Aikido-Übungen ermöglichen das Erfühlen (kinästhetische Erleben) konstruktiver Konfliktlösungsansätze.
    1. Dazu gehört insbesondere das Einnehmen der Sichtweise des Angreifers, ohne die eigene Aufrichtigkeit zu verlieren
  3. Aikido kann über das Training von Atmung, Spannungskontrolle und Aufmerksamkeit die folgenden Erkenntnisse vermitteln / fühlbar machen:
    1. Spannungskontrolle gibt Stärke (Entspannen durch Atmen und Entspannen üben)
    2. Die Energie folgt der Aufmerksamkeit
    3. Die Intention beeinflusst das Ergebnis und das Erlebnis
  4. Aikido-Übungen fördern die Haltung des Mediators - durch Verstärken der mediativen Ansätze auf erfahrbarer und spürbarer Ebene sowie dem Ergänzen einer weiteren Betrachtungsweise