Das Recht ist überall. Es findet sich in der Politik in der Wirtschaft und im sozialen Leben wieder. Die Institution, die es sicherstellen soll ist die Justiz. Die Institution, die es verwirklichen soll ist die Exekutive. Die Institution die damit umgehen muss ist der einzelne Mensch. Das Recht kann ein Ideal sein. Dann ist es der Diener des Menschen, unterstützt seine Bedürfnisse und ein reibungsloses Miteinander. Es kann aber auch zum Selbstzweck oder gar für andere Interessen missbraucht werden. Dann wird es zum Joch und verliert den Zusammenhang zu seinem Ursprung. Der Mensch wird zum Diener des Rechts. Die Welt steht auf dem Kopf. Wie solche Kopfstände zustande kommen, lässt sich sehr gut am Beispiel der Einführung der Mediation als ein Verfahren der alternativen Streitbeilegung aufzeigen. Es lohnt sich hinzuschauen, um entweder zu staunen, zu lernen oder zu verzweifeln.

Mit großem Aufwand versuchen nicht nur Politiker die außergerichtliche Streitbeilegung zu etablieren. Die Motive sind ganz unterschiedlich. Sie reichen von der Streitmüdigkeit, über die Idee der Kosteneinsparung, der Weltverbesserung bis hin zu ganz profanen wirtschaftlichen Interessen zur Absatzsteigerung und der Erweiterung des Produktportfolios, wo sich am Ende außer dem Umsatz weder die Mediation noch das Recht wiederfinden lassen.

ADR ist das Stichwort; Mediation die Magie. Daneben gibt es übrigens auch die Schlichtung, die Schiedsgerichtsbarkeit und – das wollen wir nicht aus den Augen verlieren – die Justiz, die selbst so etwas wie ADR einführt und die Güteverhandlung zur Güterichterverhandlung umfunktioniert, die als ein Synonym der Gerichtsmediation gesehen wird. Verwirrenderweise wird es bald – wenn das Gesetz über die Verbraucherschlichtung in seiner Entwurfsfassung erlassen wird – noch das Streitbeilegungsverfahren der Verbraucherschlichtungsstellen geben. Das rundet dann die Irritation ab. Denn das Verfahren der Schlichtungsstelle wird nicht etwa als Schlichtung, sondern unspezifisch mit dem Oberbegriff „Streitbeilegungsverfahren“ bezeichnet. Streitbeilegungsverfahren umfassen sowohl streitvermittelnde wie streitentscheidende Verfahren. Neben dem Schlichter, dem Richter und dem Mediator wird der Streitmittler eingeführt, obwohl Mediatoren und Schlichter bereits Streitvermittler sind. Das Ziel, die alternative Streitbeilegung zu etablieren diffundiert. Ist es Gedankenlosigkeit, Unwissenheit oder aktive Verwirrungspolitik, weil man die alternative Streitbeilegung zwar fordert aber nicht wirklich haben will? Fast scheint es so, als wäre genau das ein Gang des Menüs und ein der ADR zugestandener Teil im großen Fressen.

Der Umgang mit dem Thema und die Versuche, ADR in Deutschland zu implementieren, beschreiben einen Mikrokosmos, der zum Spiegel der Gesellschaft und mit ihr der Politik und des Rechts wird, aber auch dafür, wie Menschen miteinander umgehen. Schaut man genauer hin, wird erkennbar, dass die These, wonach der Mensch nicht weiter denkt als bis zum nächsten Fressen, absolut real ist.

Angefangen hat alles vor sagen wir 20 Jahren. Einige Pioniere wollten das Streitverhalten optimieren. Niemand hatte ein Business im Kopf und auch keine Ideologie. Begeisterung vielleicht und die Erkenntnis von Möglichkeiten, wie das Leben besser und vor allem streitfrei gestaltet werden könnte. Die magische Erkenntnis lässt sich mit dem Wort Mediation umschreiben. Tatsächlich hat die Mediation – richtig verstanden – etwas Magisches. Sie bedient eine andere Art des Denkens und eine andere Herangehensweise an Probleme. Sie ist zunächst wertfrei, stellt Lösungen zurück, rückt Verstehen in den Mittelpunkt, um erst dann, auf einer Meta-Ebene, die Erkenntnisse zusammenzuführen und daraus eine Lösung zu entwickeln. Die Lösung ergibt sich aus den Bedürfnissen statt aus Vorgaben oder Rechtsfolgen.

Hier beginnt die unterschätzte Inkompatibilität. Mediation bedient ein menschzentriertes Denken kein institutionen- oder ideologiezentriertes. So wird sichergestellt, dass die Lösung für die betroffenen Menschen auch nachhaltig und akzeptabel ist. Mediation bedient sich der Verlangsamung, der Reflektion und der Unvoreingenommenheit. Das ist eine der wesentlichen Bedingungen, das Denken gegebenenfalls zu ändern. Mediatoren erfahren bei jeder Mediation, dass dieser Weg zu unerwartet guten Ergebnissen führt, die alles einbeziehen und niemanden zurück lassen. Soweit der Plan. Es ist ein anderes Menü, bei dem jeder darauf vertraut, dass es am Ende genug zu Fressen gibt. Genau hier beginnt das Unglaubliche. Es ist die Hürde, an der die Implementierung der Mediation am Ende zu scheitern droht. Selbst die Mediatoren stehen sich im Weg. Mediation ist in erster Linie noch ein Ausbildungsmarkt. Anscheinend gibt es für einige Mediatoren Grund zur Annahme, dass es auch für sie nicht genug zu Fressen gibt. Die Mediation hat darunter zu leiden. Sie wird dem Markt geopfert. Ihre Kompetenz des mediativen Denkens wird nicht nur unterschätzt; sie wird übersehen wenn nicht sogar durch Fehleinschätzungen unterdrückt.

Die Mediation wurde in der Folgezeit - ausgelöst durch das Mediationsgesetz - von verschiedenen Gruppen vereinnahmt. Alle versprechen sich etwas davon. Da sind die Professionen, die in ihr ein wirtschaftliches Potential erkennen, andere, die einfach nur Angst haben, sie könnten einen Markt verpassen. Da sind die Politik, deren Motive immer diffuser werden und Verbände, die in der Mediation ein Instrument finden, um sich nach vorne zu bringen. Um den Fraß besser anbieten zu können, wird das Menü als schnellere, billigere und bessere Alternative zum Gericht degradiert. Sein Geschmack geht in diesem Moment bereits verloren.

Davon profitieren wiederum die Skeptiker. Sie bevorzugen ein umfängliches Streitmahl. Obwohl wir ja alle Frieden wünschen und oft genug betonen, wie kräftezehrend und irrational unser Konfliktverhalten sei, schürt das Unverständnis den Streit, den es eigentlich beizulegen gilt. Statt sich über eine gemeinsame Vision zu verständigen und die Interessen und Motive abzugleichen, werden Ziele verklärt und ideologisiert. Es werden Dogmen aufgestellt, zu denen Fakten geschaffen werden. Das hat mit Mediation nichts zu tun. Allerdings erreicht der politisch denkende Mensch auf diese Weise Schritt für Schritt sein vorgegebenes Ziel, das er - soweit es um die Mediation geht - in dem Moment unbemerkt bereits verpasst.

Die Fähigkeit des Menschen zum Fokussieren, nimmt den Kontext aus dem Blick. Dadurch werden Fehlentwicklungen begünstigt. Visionen - falls es solche überhaupt für die ADR gibt - werden mit markigen Worten verknappt. Mit der Ansage, die Welt zu verbessern, findet sich eher eine Mehrheit als mit dem ehrlichen Bekenntnis, nur Geld verdienen zu wollen. Niemand bemerkt, wie das Friedensmahl zum Schellimbiss degradiert wird. Leichte Kost lässt sich unterstellt dummen Kunden eben besser verkaufen. Es ist nicht unbedingt das gesunde Essen. Aber wen interessiert das?

Dass die Mediation im Schnellimbiss ihr Ziel verfehlt, mag der Nachfrage gezollt sein. Allerdings gibt es auch einen systemischen Hintergrund, der dieses Phänomen zu erklären vermag. Das System, in das die Mediation zu implementieren ist, basiert auf einer anderen Logik. Mediatives Denken ist mit ihm nicht unbedingt kompatibel. So ist in der Mediationslandschaft zu beobachten, wie Politiker und sogar manche Verbände sich des Themas mit Mitteln annehmen, die außerhalb der systemischen Logik der Mediation stehen. Mediation kennt keine Hierarchie und demzufolge auch keine Mehrheit. Sie ist selbst wertfrei und deshalb nicht über Werte zu erklären. Das ist so ziemlich das Gegenteil von der praktizierten Demokratie. Für sie genügt es, eine Mehrheit herzustellen. Um die Mehrheit zu bilden, setzt sie auf Bewertungen, über die sich eine Gefolgschaft herstellen lässt. Das ist das Fressen der Demokratie. Dazu bedarf es lediglich eines Menüs, das mehrheitsfähig erscheint. Also wird versucht, die Mediation als ein solches Menü anzupreisen. Wenn das nicht gelingt, bedient man sich des Zwangs, indem der Schnellimbiss zur verpflichteten Vorspeise wird. Zwar gelingt es versierten Mediatoren sogar daraus eine werthaltige Mediation zu entwickeln. Allerdings liegt die Betonung dann auf dem Wort entwickeln. Denn Zwang ist mit der auf Bedarfe abstellenden Mediation nicht wirklich kompatibel. Das System schützt sich, indem es die mediation in ein Verfahren verkapselt. Da kann das andere, mediative Denken am besten kontrolliert werden.

Das erklärte Ziel der EU ist es, 50% der Gerichtsfälle in die Mediation zu überführen. Das ist deren Fressen. Noch niemand hat sich bisher Gedanken darüber gemacht, wie sich das System verändert, wenn das Ziel tatsächlich erreicht wird. Angeblich will die Justiz Kosten einsparen. Die Bemühungen zu ihrer Privatisierung führen allerdings dazu, dass der Markt die lukrativen Fälle abgreift und die unverdauliche Kost dem Staat überlässt. Das Phänomen ist bei der Schiedsgerichtsbarkeit bereits zu beobachten. Hoch gerechnet führt es dazu, dass letztlich das auf Mischkalkulationen gründende Kostenmodell der Justiz aus den Fugen gerät. Was werden die arbeitslosen Richter und Rechtsanwälte unternehmen? Sie sind schon jetzt aktiv damit beschäftigt, Märkte und Pfründe zu sichern. Feindliche Übernahmen werden erkennbar. Sie sind zwar nicht gerade ein mediatives, dafür aber ein bewährtes Tool. Plötzlich gibt es einen Anwaltsmediator, der sich mehr Rechte zuschreibt. Es gibt einen Güterichter, dem die Fälle geneidet werden. Es gibt Fachmediationen ohne Fachkonflikte. Es gibt Psychologen, die wieder in alte Begrifflichkeiten zurückfallen und die Mediation gar nicht als solche bezeichnen. Es ist eine recht chaotische Situation, unter der letzten Endes der Konsument, mit ihm der Anbieter und am meisten die Mediation zu leiden haben. Ein difffuses System verwirklicht sich in seinen Elementen.

Systemisch betrachtet könnte man denken, dass die Mediation - oder besser gesagt das mediative Denken - von dem System in das sie implementiert werden soll als inkompatibel abgestoßen wird. Systeme wollen sich erhalten. Stellen Sie sich vor, die Politiker oder die Funktionäre würden plötzlich anfangen anders, nämlich mediativ zu denken. Dann gäbe es kein Durchsetzen mehr sondern nur ein Einigwerden. Es gäbe keine Mehrheitsverhältnisse mehr. Die Existenzberechtigung der Politiker stünde in Frage. Auch würde es nicht mehr gelingen, Wähler mit hehren Worten zu ködern. Plakative richtig und falsch Behauptungen würden nicht nachgebetet sondern hinterfragt werden. Sie wollen verstanden sein. Man würde einander zuhören statt zu streiten.

Wenn es wirklich darum ginge, die Mediation zu implementieren, dann muss sie von denen gelebt werden, die sie einführen und anwenden möchten. Dann muss die Vorgabe selbst die Methoden der Mediation verwenden. Die Vision würde abgestimmt. Es würde eine systemische Klarheit herbeigeführt werden, durch welche die Verfahren, für die sich der Kunde letztlich entscheiden soll, in ihrem Wesen besser verstanden und somit auseinandergehalten werden können. So wie es scheint, können dies momentan nicht einmal alle Experten, geschweige denn die Politiker. Wenn es wirklich darum ginge, alternative Streitsysteme einzuführen, dann würde man den Menschen in seiner Autonomie stärken, statt seine Kompetenz und Selbstbestimmtheit in Frage zu stellen. Man würde, wie von der Mediation vorgegeben, den Prozess im Auge haben, nicht das Ergebnis. Wo der Mensch versteht, trifft er die richtigen Entscheidungen. Wo nicht – muss man sich nicht wundern. Menschen mögen oberflächlich und zu schnell bewerten und denken. Aber sie sind Weltmeister darin, sich der Situation anzupassen, um irgendwie zu ihrem Fressen zu kommen. Wenn sie nicht an den Trog gelassen werden und sich nicht zum Mahl geladen fühlen, wechseln sie einfach das Lokal. Sie ändern das Thema, erfinden einen neuen Begriff für dasselbe oder gründen eine Gegenbewegung. So bekommen auch sie dann ihr Fressen. Sie machen einfach einen anderen Futtertrog auf, aus dem sie sich bedienen können. Wenn die verbale Kommunikation dafür versagt, dann gibt es ja auch noch eine andere. Die tut allerdings körperlich weh.

Das verrückte ist: Die Mediation - oder präziser gesagt: das mediative Denken - wäre das passende Tool der Einbeziehung. Aber nur wenn es korrekt verstanden wird und dann, wenn die Mediation als Diener der Menschen angesehen wird anstatt eines diffusen Werkzeugs der Institutionen und Anbieter.

(c) Photo by Georgie Pauwels