Theorie:

Die Grundlage der kooperativen Praxis ist jeweils ein – konventionelles – Anwaltsmandat für jede Seite, jedoch mit der Besonderheit, dass mit den Parteien eine kooperative Anwendung des Rechts vereinbart wird. Dies geschieht in einer Zusatzvereinbarung zur allgemeinen Vollmacht. Darin verpflichten sich Parteien und Anwälte zu einem kooperativen Vorgehen in der rechtlichen Auseinandersetzung durch das Versprechen, das Recht nicht zur Durchsetzung einseitiger Vorteile auf Kosten des anderen zu benutzen, sondern mit den Rechtslösungen zugleich Konfliktlösungen anzustreben. Berufsrechtlich ist dies durch die Rollenbeschreibung der Anwälte abgesichert, wonach diese neben ihrer Aufgabe als Rechtsvertreter auch die Aufgabe haben, ihre Parteien „konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten“ (§ 1, Abs. 3 der Berufsordnung der Rechtsanwälte). Aus der Parteilichkeit heraus zu vermitteln, ist daher durch die Rechtsordnung gedeckt. Nur umgekehrt verbietet sich, aus der Rolle des Mediators die Parteilichkeit zu wechseln.

Praxis:

Die rechtliche Basis der kooperativen Praxis ist immer ein Anwaltsmandat. Der scheinbare Gegensatz zwischen Parteilichkeit und Unparteilichkeit löst sich in der kooperativen Praxis dadurch, dass man zwischen rechtlicher Tätigkeit und Konfliktbearbeitung unterscheidet. Was das Recht betrifft, sind die Anwälte in der kooperativen Praxis immer parteilich, wenn auch zur Kooperation verpflichtet. Bezogen auf die Konfliktbearbeitung handeln sie wie Mediatoren, also unparteilich oder „allparteilich“, ohne jedoch den Anwaltsauftrag zu verlassen. Technisch geschieht das in der Weise, dass beide Seiten die Zusatzvereinbarung zur Kooperation „spiegelbildlich“ abschließen, denn Kooperation ist nur möglich, wenn beide Seiten sich in gleicher Weise darauf verständigen. Die rechtlichen Fragen werden in Einzelgesprächen mit den Parteien geklärt. Die daraus folgenden rechtlichen Einschätzungen tauschen die Anwälte sodann miteinander aus. Anschließend treffen sich Anwälte und Parteien zu ei-ner gemeinsamen Verhandlung mit dem Ziel einer Einigung über alle anstehenden Fragen.

Was zu beachten ist:

Wichtig ist, dass Verhandlung über das Recht und Verhandlung über die darunter liegenden Konflikte unterschieden werden. Wenn gesagt wird, dass Anwälte der kooperativen Praxis „beides machen“, so könnte der Eindruck entstehen, dass Recht und mediative Verhandlung miteinander vermischt werden. Das Gegenteil ist der Fall: Rechtlich sind die Anwälte immer nur für die eigene Partei zuständig, während sie in der Konfliktbearbeitung grundsätzlich gemeinsam handeln und auch mit der anwesenden Gegenpartei sprechen können. Die Anwälte müssen also immer deutlich machen, in welcher Rolle sie sind, was sie gerade tun oder beabsichtigen, sonst kann das Verwirrung stiften. Das Besondere des Verfahrens ist die Klar-heit der Rollen, bezogen auf das jeweilige Thema Recht oder Konflikt. Wenn in der theoretischen Beschreibung auch beides eng miteinander verflochten scheint, so können die Partei-en dem Faden praktisch jedoch leicht folgen, vorausgesetzt die Anwälte halten sich strikt an die Regel der Rollenklarheit. Darüber hinaus findet eine stetige Abstimmung zwischen Anwälten und Parteien zum konkreten Verständnis statt („Looping“). Die Transparenz des Verfahrens ist somit oberstes Gebot.

Vorteile:

Die Vorteile der kooperativen Praxis liegen auf der Hand: Es werden keine, vor allem keine streitigen Schriftsätze gewechselt. Missverständnisse können direkt vor Ort geklärt und aus-geräumt werden. Die Parteien erarbeiten ihre eigene Lösung; sie werden nicht unter Druck gesetzt oder auf ein bestimmtes Resultat hin präpariert. Im abschließenden Verhandlungsergebnis findet sich als etwas Ganzes gelöst wieder, was zuvor unvereinbar schien. Das Recht wird den Parteien im Lauf des Verfahrens vertraut, und von ihnen nicht mehr als etwas Fremdes, Feindliches oder als Machtinstrument erlebt. Die Anwälte müssen nicht für die Durchsetzung von Rechten kämpfen – um den Preis der Unterdrückung von Emotionen und des Verstehens.

Zukunft:

Dadurch kann die kooperative Praxis – über die aktuelle Anwendung hinaus - zu einem Ein-stieg in ein neues Berufsverständnis der Anwälte werden, das ein stressfreies, menschliches und konstruktives Arbeiten ermöglicht und schließlich in einen ganzheitlichen Ansatz von Recht und Emotionen münden kann.