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Der Wertekonflikt in der Mediation

Wissensmanagement » Diese Seite ist der Kategorie Konfliktphänomenologie des Archivs in der Wiki-Abteilung Wissen zugeordnet. Eine logische Verknüpfung erfolgt mit dem Kapitel Konfliktdimensionen das der Rubrik Konflikt des 6. Buchabschnitts angehört. Bitte beachten Sie auch:

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Der Wertekonflikt bildet eine von insgesamt fünf Konfliktdimensionen ab. Er verdient eine besondere Aufmerksamkeit, weil es nicht nur um Erkenntnisse geht, sondern oft auch um grundlegende Lebenspositionen. Das macht seine Bearbeitung oft schwierig. Besonders dann, wenn die Werte in das Argumentationsschema eingebunden und zur solitären Begründung einer Handlung oder Verweigerung angeführt werden.

Was sind Werte?

Der Wertbegriff wird uneinheitlich gebraucht. Was genau gemeint ist, bedarf der Klärung. Das gilt besonders dann, wenn Werte in der Mediation angesprochen und von den Parteien besonders herausgestellt werden. Was wollen sie damit zum Ausdruck bringen?

Werte werden oft mit Normen in Zusammenhang gebracht. Wenn Normen die Handlungsanweisungen sind, ergeben die Werte den Handlungszweck oder die dahinter verborgene Zielvorstellung. Indem sich der Mensch Werte zuschreibt, gibt er dem Handeln oder Unterlassen einen Sinn.

Beispiel 16232 - Die Norm "Du darfst nicht lügen" basiert auf dem Wert Ehrlichkeit. Die Norm, bei der Begrüßung die Hand zu geben, beruht auf dem Wert Höflichkeit und Respekt.


Grundsätzlich können Werte als bewusste oder unbewusste Leitvorstellungen und Orientierungsmuster des Handelns von Individuen oder Gruppen betrachtet werden. Sie etablieren sich als tief verwurzelte Überzeugungen darüber, was für eine Person oder eine Gemeinschaft wichtig und wünschenswert ist. Die Überzeugung hilft bei der Bewertung von allem, was wir sind und was uns umgibt.

Beispiel 16233 - Geld ist ein Zahlungsmittel. Sein Wert kann numerisch ausgedrückt werden. Seine Bedeutung erschließt sich allerdings nur über den Wert der ihm zugeschrieben wird. Der Wert bestimmt, was ich mir dafür kaufen kann.


Das Beispiel zeigt, wie der Wert in die Bewertung einfließt. Die Bewertung ist somit die Zuschreibung oder Bestimmung von Werten. Ihr Nutzen erschließt die Bedeutung, so wie der Wert die Bedeutung erschließt. Das eine ergibt das andere, so wie der Wert auch mit der Norm in einer Wechselbeziehung steht. Wenn ich mir für den Wert des Geldes nichts kaufen kann, wird es wertlos. Wenn es wertlos wird, verliert es an Bedeutung. Wenn dem Geld jedoch wieder eine große Bedeutung beigemessen wird, wird es aufgewertet. Der Wertverlust wird kompensiert.

Der Wert im Konflikt

Wertkonflikte entstehen, wenn unterschiedliche Werte miteinander kollidieren oder unvereinbar erscheinen.

Beispiel 16234 - Einerseits soll ich höflich sein. Andererseits soll ich ehrlich sein. Beide Werte kollidieren, wenn ich beispielsweise gefragt werde: "Findest Du mich zu dick?". Die ehrliche Antwort wäre ein "Ja". Die höfliche Antwort führt in eine Umschreibung oder in eine soziale Lüge.


Im Gegensatz zu den Normen sind Werte auf ein mit Handlungszielen verbundenes Wollen ausgerichtet. Die Befolgung von Normen kann als richtig oder falsch eingeschätzt werden. Anders als Normen lassen Werte einen Gradunterschied der Verbindlichkeit zu.1 Die mit dem Gradunterschied verbundene Wertetoleranz ist unterschiedlich ausgeprägt. Sie berüht die Frage, was es mit einem Menschen macht, wenn seine Leitprinzipien für Verhalten, Entscheidungen und Bewertungen plötzlich nicht mehr eindeutig sind? Was macht es mit Menschen, wenn sie nicht anerkannt, in Frage gestellt oder gar abgelehnt werden? Wohin retten sie sich?

Ähnlich wie bei dem kulturellen Konflikt ist es nicht der Wert, sondern letzlich immer der Mensch, der den Konflikt ausleben muss. Ihm obliegt die Entscheidung, ob er sich an dem einen oder anderen Wert oder gar an beiden orientiert. Der Wertekonflikt ist somit, wie jeder Konflikt, eine Einladung, sich damit und mit sich selbst auseinanderzusetzen.

Wertekategorien

Werte können persönlicher Natur sein, wie beispielsweise Integrität, Freiheit oder Gerechtigkeit, oder auch einen gesellschaftlichen Bezug haben, wie Solidarität, Toleranz oder Respekt. Sie können innerhalb einer Person, zwischen Personen, in und zwischen Gruppen und sogar in und zwischen Gesellschaften auftreten. Grundsätzlich lassen sich die Werte folgenden Kategorien zuorden:2

Art des Werts Sinn Beispiele
Grundwerte Grundlegende Werte eines Menschen oder einer Gesellschaft, die für unser tägliches Leben wichtig sind. Freiheit, Gleichheit
Gesellschaftliche Werte Werte, die innerhalb einer Gesellschaft als erstrebenswert und moralisch gut erachtet werden. Höflichkeit, Gerechtigkeit, Empathie
Persönliche Werte Ziele, die zu erreichen sind. Gesundheit, Erfolg, Freundschaft
Materielle Werte Der Wert eines Gegenstandes, den er in der Wirtschaft hat. Ein materieller Wert ist also ein messbarer, ökonomischer Wert Eigentum, Vermögen
Postmaterielle Werte Abstrakte, höhere Werte hinter den materiellen Werten Glück, Bildung, Zufriedenheit
Religiöse Werte Wertvorstellungen, die in einer Religionsgemeinschaft bestehen Glaube, Nächstenliebe

Umgang mit Wertkonflikten

Im Gegensatz zu den Normen sind Werte auf ein mit Handlungszielen verbundenes Wollen ausgerichtet. Die Befolgung von Normen kann als richtig oder falsch eingeschätzt werden. Bei Werten ist die Einschätzung, was richtig und falsch ist, ungleich schwieriger. Wer sich diese Einschätzung erlaubt, kommt schnell in den Verdacht, sich über die Werte stellen zu wollen. Deshalb muss die Auseinandersetzung mit Werten aus den Werten selbst heraus erfolgen. Hierbei hilft die bereits erwähnte Disponibilität ihrer Verbindlichkeit. Genau hier finden wir den Lösungsansatz.

Letztich müssen sich Werte selbst einer Bewertung stellen, damit sie bewertet werden können. Das klingt wie ein Oxymoron. Wenn die Auseinandersetzung darüber nicht zugelassen wird, werden die Werte zu Normen. Berkefeld stellt heraus, dass Werte zwar in einen Zusammenhang mit dem Wollen zu stellen seien. Sie sollten jedoch nicht mit Wünschen gleichgesetzt werden. Werte seien deshalb eher ein Mittel, um Wünsche zu beurteilen, also Vorstellungen über das Wünschenswerte herauszustellen.3 In der Terminologie der Mediation wären die Wünsche mit den Lösungen und die Beurteilung der Wünsche mit dem Nutzen gleichzusetzen. Damit bewegt sich die Erörterung von Werten in einer Mediation in die Phase drei, wo sie mit der Erhellung der Motive und der Lösungskriterien einhergeht. Hier werden die Werte mit den Bedürfnissen abgeglichen.

Die Bewältigung von Wertkonflikten erfordert ein hohes Maß an Reflexion, Kommunikation und Kompromissbereitschaft. Die Partei muss in der Lage sein, den Wert, und wenn sie sich mit ihm identifiziert und durch ihn determiniert, letztlich auch sich selbst in Frage stellen. Genau hier liegt die Herausforderung. Es mag ja noch leicht fallen, über den Wert Höflichkeit zu disponieren. Sowohl die Verhandlungsfähigkeit und die Verhandlungsbereitschaft gehen jedoch mit dem Grad verloren, in dem sich Menschen mit den Werten identifizieren. Anders formuliert lässt sich die Höflichkeit in Frage stellen, der Glaube jedoch nicht. Wenn der Glaube in Frage gestellt wird, könnte die innere Welt aus den Angeln gehoben werden.

Es kommt nicht von ungefähr, wenn die Konfliktdimension den Wertekonflikt auf der dem "Bauch" zugeordneten Bearbeitungsbene zuordnet. Dazu ein Beispiel aus der Praxis:

Beispiel 11718 - Ein Deutscher ist mit einer Chinesin verheitatet. Bei einem Lehrgang in Thailand besucht er einen Nachtclub mit Table-Dance. Er berichtet seiner Frau davon. Für ihn war es eine vertrauensbildende Maßnahme. Für seine chinesische Frau war dies der Scheidungsgrund und es kommt zur Scheidungsmediation. Der Mediator überlegt sich im Vorfeld, ob er sich über Chinesen schlau machen soll. Er hat darauf verzichtet. Dafür hat er besonders aufmerksam zugehört. Ihm fiel folgendes auf: bei der Themensammlung nannte die Chinesin einmal die Scheidung, zum anderen, dass ihr Ehemann sie nicht wie ihre Mutter behandeln solle (auf Deutsch übersetzt: soll sie nicht wie seine Putzfrau behandeln). Der Mediator bemerkt den Widerspruch. Nach einer Scheidung ist die Frage wie die Frau behandelt wird relativ uninteressant. Weiterhin fielen auf, dass sich der Mann vor und während der Mediation ständig entschuldigt hat bei seiner Frau. Auch er beteuert, dass es keine sexuellen Handlungen gegeben habe. Ebenso häufig wiederholte die Chinesen, dass der Mann bei Gott und Buddha Treue versprochen hätte und dass er dieses Versprechen gebrochen habe. Der Mediator fiel auf, dass die Entschuldigung des Mannes keine Wirkung hat und er insistierte darauf, die Reaktion der Frau verstehen zu wollen. Der Mediator hat sich vorher die Erlaubnis eingeholt, Fragen die einen kulturellen Bezug haben könnten auf den Grund gehen zu dürfen. Seine Bohrungen führten schließlich zum Erfolg als die Frau fast nebenbei bemerkte, dass nur ein anderer Mann ihre Ehre wiederherstellen könne. Jetzt wurde klar dass es nicht um Schuld sondern um eine Ehrverletzung geht. Mit der Frage, wie sich die Ehre wiederherstellen lässt, konnte die Ehebeziehung aufrechterhalten bleiben.


Die Ehre ist ein Wert. Er wurde in der Mediation auch nicht in Frage gestellt. Es wurde lediglich überlegt, wie er wieder hergestellt werden kann. Ein erster und entscheidender Schritt bei der Bearbeitung von Wertekonflikten besteht also darin, die zugrunde liegenden Werte und Motivationen aller beteiligten Parteien zu verstehen und anzuerkennen. Es bedarf der Prüfung, ob die Werte auch andere Lösungsoptionen ermöglichen.

Die ethische Leitlinien und Richtlinien für den Umgang mit Wertkonflikten ergeben sich aus der Mediation selbst. Die Richtlinien sind transparent und berücksichtigen die unterschiedlichen Perspektiven und Werte aller Beteiligten. Wenn es gelingt, genauer hinzuschauen, wird es möglich sein, Gemeinsamkeiten herauszustellen, woraus sich Schnittstellen ergeben. Oft ist es auch so, dass Werte an und für sich nicht eindeutig sind, weshalb die sich aus den Werten ableitenden Handlungsanweisungen selbst der Interpretation bedürfen. Mithin gibt es Spielräume. Die Ebene die alles zusammenbringt, ist der über den Werten liegende oder die Werte verbindende Nutzen. Er verbirgt sich hinter der Frage, wozu ich die Werte überhaupt habe, was sie mir sagen wollen, warum ich mich damit identifiziere und warum sie mir so wichtig sind.

Bedeutung für die Mediation

Der gedankliche Weg der Mediation im Sinne der kognitiven Mediationstheorie funktioniert auch bei Wertekonflikten. Die Mediation stellt die Reflexionsfähigkeit aus der jeweiligen Sicht und Perspektive her und bietet die erforderlichen Refexionsflächen auf der Metaebene an. Sie erlaubt insbesondere die zur Reflexion erforderlichen Perspektivwechsel und gegebenenfalls die Auseinandersetzung mit dem Menschen an und für sich. Hier stellen sich Parallelen zu den Resilienzeffekten her. Wenn die Werte unvereinbar gegenübergestellt werden, empfiehlt sich ein Abgleich nach den Grundsätzen der interkulturellen Mediation, wo es darum geht, die Kiulturen bzw. Werte in eine Beziehung zu stellen.

Weil die Wertekonflikte oft mit einer hohen Eskalation einhergehen, ist mit Widerständen und Blockaden zu rechnen. Wie diese zu überwinden sind, wird bei den schwierigen Situationen beschrieben.4

Was tun wenn ...

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Bearbeitungsstand: 2024-03-20 11:48 / Version .

Prüfvermerk: -

1 Siehe Berkefeld (Wert und Wertethik) - 2024-03-20
2 Tabelle entnommen aus: Werte und Normen - 2024-03-20
3 Siehe Berkefeld (Wert und Wertethik) - 2024-03-20


Based on work by Arthur Trossen und anonymous contributor . Last edited by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Donnerstag März 28, 2024 16:11:13 CET.

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